■ Vor 50 Jahren: Anklage gegen die Nazi-Kriegsverbrecher
: Wer stand in Nürnberg vor Gericht?

Denke ich an die Nürnberger Prozesse zurück, so scheint es mir, sie hätten nicht vor 50 Jahren, sondern in einem anderen Zeitalter stattgefunden. Der Prozeß ist deshalb so tief in die Vergangenheit entglitten, weil jetzt alle supranationalen Machtdelegationen letztlich dem neudeutschen Großmachtstreben dienlich sind. In Nürnberg aber wurde nicht nur die grauenhafte Wahrheit über einige Naziführer enthüllt. Im Licht der Weltöffentlichkeit standen wir Deutsche, also jene 95 Prozent, die diesem Regime seine Untaten ermöglicht hatten, die daran beteiligt gewesen waren, Europa zu zerstören. Wer will das noch wissen?

Sogar jene, die vor 50 Jahren dieses juristische Großunternehmen als illegale Siegerrache denunzierten, hätten nichts dagegen gehabt, daß ein paar Mächtige des „Dritten Reiches“ aufgehängt werden. Sie mußten sich aber sagen, daß diese Verbrecher nur als Stellvertreter vor Gericht standen – Stellvertreter der Mehrheit, die, hätte Deutschland den Krieg gewonnen, ihnen weiterhin jene Loyalität gezollt hätte, die auch durch Stalingrad kaum verletzt wurde. Diese Vorstellung machte das Tribunal zu einem Ärgernis.

Das Gerede, man habe nichts gewußt, mußte einzig und allein deshalb zum Rettungsanker eines Restes von Selbstachtung gemacht werden, weil der Krieg verloren war. Im Falle eines deutschen Sieges hätte der Völkische Beobachter die Mordlisten der Vernichtungslager veröffentlichen können – als Protokolle jener heldenhaften Standfestigkeit, als die der Massenmord von Himmler gefeiert worden war.

Würde der Nürnberger Prozeß heute über die Medien wieder einer breiteren Öffentlichkeit in seiner vollen Bedeutung zum Bewußtsein gebracht, so entstünde über Nacht eine neue/alte Gegenöffentlichkeit, die in ihm nichts anderes sähe als die Großväter vor 50 Jahren – eine bösartige Machination der Sieger. Es gibt diese Sieger nicht mehr, und was heute vielleicht unseren nagelneuen nationalen Ehrenschild befleckt, kann nicht dem ganzen Volk in die Schuhe geschoben werden. Auch seinerzeit war das NS-Regime von Marsmenschen errichtet worden.

Aber Auschwitz? Ach ja, Auschwitz! Es konnte nur deshalb ein Doppelpunkt unserer Empfindlichkeit bleiben, weil an diesem Ort die Ruinen der Todesfabrik noch besichtigt werden können. Das läßt sich eben nicht wegschwindeln. Der Nürnberger Prozeß hingegen ist nur in Aktenbergen vorhanden, die niemand kennt. Was sie aber widerspiegeln, ist ein Auschwitz hoch zehn. In einigen Jahren werden Zeitgeschichtler auch um „Nürnberg“ nicht mehr herumkommen. Freilich nur sie. Erich Kuby

Nahm an mehreren Sitzungen des Nürnberger Tribunals teil