Gefahr im Verzug

■ Innenpolitische Folgen der Terrorwelle in Frankreich

Eine Terrorwelle geht durch Frankreich – blutige Anschläge in der U-Bahn, im Hochgeschwindigkeitszug, vor einer Schule, auf einem Marktplatz, in Paris, in Lyon. Jeder Mensch – so die einzig klare Botschaft der Attentäter – kann Opfer der Gewalt werden. Jeder, überall und jederzeit. Oberflächlich betrachtet haben die Attentate das Leben kaum beeinträchtigt. Die Franzosen reagieren mit der üblichen Mischung aus Fatalismus und Humor. Panik und Hysterie bleiben aus.

Dahinter jedoch verbergen sich radikale Veränderungen des Alltags. So wurde erstmals ein Verdächtiger landesweit mit Fahndungsplakaten gesucht. So wurde eine Erschießung – die von Khaled Kelkal – annähernd zeitgleich im Fernsehen übertragen. So werden täglich neue Bilanzen hunderttausendfacher Personenkontrollen – meist ausländisch aussehender Menschen – veröffentlicht. Und so ist Frankreich auf unabsehbar lange Zeit aus einem zentralen Teil europäischer Zusammenarbeit ausgeschert – der Aufhebung der Personenkontrollen laut Schengener Abkommen.

Unter dem Zeichen des achten Attentats verschärfte sich gestern der politische Ton. Der Pariser Bürgermeister Jean Tiberi sprach von einer „nationalen Destabilisierung“. Premierminister Alain Juppé benutzte das Bild eines ganzen Landes als Geisel. Und Sprecher der Polizei erklärten sich überfordert und verlangten ein Eingreifen des Militärs in die Terrorbekämpfung.

Das sind Anzeichen einer „inneren Mobilisierung“, die an die Bundesrepublik der 70er Jahre erinnern. Aufrüstung der Polizei und Abrüstung der Demokratie – für Frankreich besteht diese Gefahr heute. Dorothea Hahn, Paris