Niemand will eine neue Mauer

Auch kroatische und serbische Mitglieder des bosnischen Staatspräsidiums halten an einem einheitlichem Staat Bosnien-Herzegowina fest  ■ Aus Sarajevo Erich Rathfelder

In Sarajevo warten die Menschen einfach ab. Das bißchen Frieden dieser Tage hat viele aufatmen lassen. Doch große Hoffnungen auf die Friedensverhandlungen, die am Ende des Monats in den USA beginnen sollen, haben die meisten nicht.

„Die Vorstellung, 25.000 Amerikaner und vielleicht 20.000 Russen hier im Lande zu haben, macht mich frösteln“, sagt eine junge Frau, die dabei ist, eine Boutique zu eröffnen. Auch sie möchte den Krieg beendet sehen und jegliches weitere Blutvergießen vermeiden. Aber wie viele andere sieht sie in der Anerkennung von Teilstaaten auf bosnischem Boden die nächste Runde des Krieges vorprogrammiert.

Der US-amerikanische Plan ist ein weiterer Teilungsplan, der Aufmarsch ausländischer Truppen dessen Absicherung. „Ich glaube nicht, daß dieser Plan eine Lösung darstellt.“ Mehmed Halilović ist Chefredakteur der Tageszeitung Oslobodjenje. Wie andere einflußreiche Persönlichkeiten aus Politik und Kultur in Sarajevo kann er sich eine Zukunft Bosnien-Herzegowinas nur in einem einheitlichen Staat vorstellen. Gäbe es einen serbischen Teilstaat, würden wohl auch die Ambitionen der kroatischen Extremisten wieder wachsen, ihren selbsternannten Teilstaat Herceg-Bosna aufleben zu lassen.

Einer der Direktoren der Nationalbank, Enver Backović, fragt sich, wie die ökonomische Entwicklung unter solchen Bedingungen vorangebracht werden könnte: „Wie sollen Investitionen greifen, wie soll der Wiederaufbau möglich werden, wenn der Staat durch innere Grenzen zerrissen ist?“ Bosnien-Herzegowina brauche politische Stabilität, um den Wiederaufbau durchzuführen.

Zwar sind mit der Offensive der Armee weite Teile des Landes zurückerobert und die serbischen Extremisten in die Enge gedrängt worden. Die Nachrichten aus Pale werden in Sarajevo als ermutigend empfunden. Die Schlammschlacht zwischen der serbisch-bosnischen Armee unter General Ratko Mladić und der politischen Führung unter Radovan Karadžić zeige nur, auf welch tönernen Füßen das serbisch-bosnische Regime steht, ist eine durchgängige Meinung.

Die Auseinandersetzungen in Banja Luka bereiten gerade manchen Serben in Sarajevo Freude. Viele ihrer Repräsentanten, wie das Mitglied des Staatspräsidiums Mirko Pejanović, sehen sich in ihrer Position bestätigt, zu Beginn des Krieges an Bosnien-Herzegowina festgehalten zu haben und nicht auf die Seite Karadžićs gewechselt zu sein. „Das Regime muß kollabieren,“ meint er. Doch ehe dies geschieht, könne es noch viel Unheil anrichten. Immerhin kämen nach einem Friedensschluß amerikanische Soldaten ins Land, so daß den Versprechungen bezüglich der langsamen Integration aller Teile Bosniens in einen gemeinsamen Staat Nachdruck verliehen werden könnte, hoffen manche.

Auch Stjepan Kljuić, ein kroatisch-bosnischer Repräsentant im Staatspräsidium, glaubt, daß mit der US-Präsenz der Implementierung des Friedensvertrages Nachdruck verliehen werden könnte. Dem Rückkehrrecht aller Vertriebenen – einschließlich der jetzt geflohenen Serben – räumt er einen großen Stellenwert ein. „Nur wenn die Menschenrechte und das Recht auf Rückkehr geachtet werden, ist eine demokratische Zukunft in Bosnien-Herzegowina möglich.“ Auf ethnischen Prinzipien basierende Gebilde im Staate jedoch erhielten nur die Herrschaftsstrukturen der Kriegsverbrecher. Besser wäre die sofortige Herstellung eines einheitlichen Staates.

„Achtung Scharfschützen“ heißt es auf einem Straßenschild, das über einer der Brücken im Zentrum der Stadt angebracht ist. Heute brauchen die Leute nicht zu rennen, wenn sie auf die andere Seite des Flusses gelangen wollen, der Waffenstillstand hält in Sarajevo. Die von hier sichtbaren Häuser auf der anderen, serbisch besetzten Seite der „Mauer“ jedoch erscheinen vielen wie Feindesland.

„Die schlimmste Vision wäre, wenn hier tatsächlich eine Mauer wie in Berlin entstünde“, sagt die Rentnerin Nada P., die in einem Haus am Fluß wohnt. „Und“, so fügt sie hinzu, „wenn hier auf dieser Seite Amerikaner und auf der anderen Seite Russen stationiert würden, dann wäre in Sarajevo Berlin wiedererstanden.“ Aber so weit werde es wohl nicht kommen. „Warten wir es ab.“