„Wir zahlen keinen Pfennig“

Zwischen Bonn und den ostdeutschen Kommunen eskaliert der Streit um die knapp acht Milliarden Mark Altschulden. Kommunale Verbände stellen sich auf langjährige Prozesse ein  ■ Aus Berlin Christoph Seils

Mit Prunk und Pomp, neuen Palästen und restaurierten Fassaden beging die Hauptstadt der DDR 1987 ihre 750-Jahr-Feier. Der Generalsekretär der SED, Erich Honecker, war von den Festivitäten in Ost-Berlin so entzückt, daß er der Stadt anschließend alle Kredite bei der Staatsbank erließ. Was im Rahmen des zentralistischen Finanzwirtschaftsplans der DDR allenfalls ein buchhalterischer Willkürakt war, entpuppte sich nach der Wende für Berlin als milliardenschwerer Glücksgewinn.

Der brandenburgischen Stadt Schwedt widerfuhr solche Gunst nicht, jetzt droht der 50.000 Einwohner zählenden Stadt der Ruin. Pro Einwohner schuldet sie dem Bund rund 2.200 Mark. Damit ist Schwedt eine von rund 1.400 ostdeutschen Kommunen, die beim Bundesfinanzminister mit insgesamt 7,9 Milliarden Mark in der Kreide stehen.

Seit über fünf Jahren streiten die Kommunen in den neuen Bundesländern mit dem Bundesfinanzministerium um die sogenannten Altschulden. In der kommenden Woche will Kanzleramtsminister Friedrich Bohl in einem Spitzengespräch mit den Staatskanzleien der neuen Bundesländer in Bonn einen letzten Versuch unternehmen, einen Kompromiß zu suchen.

Auf einer Pressekonferenz in Berlin forderte der Geschäftsführer des deutschen Städtetages, Jochen Diemann, gestern, an den Gesprächen beteiligt zu werden. Doch längst haben sich die ostdeutschen Kommunen auf langjährige rechtliche Auseinandersetzungen vorbereitet. Nach Ansicht des Rechtsprofessors Wolfgang Harms, der den Zwischenbericht eines vom Städtetag in Auftrag gegebenen Rechtsgutachtens vorstellte, sind die Kredite einschließlich Zinsen und Rückzahlungen in der DDR lediglich interne Rechnungsvorgänge im zentralen Staatshaushalt gewesen und mit den Zuschüssen zum sozialen Wohnungsbau zu vergleichen. Die Auferlegung einer Rückzahlungspflicht durch den Bund sei verfassungswidrig. Harms riet den ostdeutschen Kommunen, die Rechtmäßigkeit der Altschulden nicht anzuerkennen und ein Verfahren vor dem Bundesverfassungsgericht anzustreben.

Aus Sicht des Bonner Finanzministeriums jedoch sind mit der Übernahme der ehemals volkseigenen gesellschaftlichen Einrichtungen wie Kindergärten, Schulen, Altenheimen, oder Sporthallen auch die darauf lastenden Verbindlichkeiten auf die Kommunen übergegangen. Wenn der Bund bis Ende dieses Jahres nicht das Mahnverfahren einleitet, wären die ersten Zinsforderungen in Höhe von rund 500 Millionen Mark verjährt und für den Bundeshaushalt verloren. Die Mahnbescheide sind bereits vorbereitet. Doch bevor die bundeseigene „Gesellschaft für kommunale Altkredite und Sonderaufgaben der Währungsumstellung mbH (GAW)“ diese zustellen läßt, will man das Bonner Spitzengespräch abwarten. Im Kanzleramt werde, so heißt es, derzeit ein Vorschlag zur Beilegung des Streites erarbeitet. Doch die Fronten sind verhärtet. Die Kommunen bestehen auf der Streichung der Altschulden. Das Bundesfinanzministerium hat bislang lediglich zinsgünstige Kreditprogramme angeboten. Sollte die Vermittlungsrunde scheitern, will die GAW die Altschulden per Gericht eintreiben.

„Wir werden keinen Pfennig zahlen“, ist sich der Bürgermeister von Schwedt, Peter Schauer, sicher. Bei einem Haushaltsvolumen von 130 Millionen im Jahr sei die Stadt ansonsten gezwungen, alle freiwilligen Leistungen einzustellen und die Zwangsverwaltung zu beantragen. 106 Millionen Mark Altschulden fordert der Bund von der Industriestadt, die in den sechziger Jahren auf dem Reißbrett geplant wurde. Die Stadt soll auch für Einrichtungen bezahlen, die es überhaupt nicht mehr gibt. Unter den Altschulden befindet sich auch ein Posten in Höhe von einer Million Mark für eine Sporthalle, die wegen Baufälligkeit längst abgerissen worden ist.

Beklagt wird von den betroffenen Kommunen auch die „Willkür“, mit der die Kredite in der DDR verteilt wurden. Weil das „Kredit“-Verfahren je nach Kassenlage der DDR-Staatsbank nur 15 Jahre angewendet wurde, sind von den rund 7.500 Kommunen in den neuen Bundesländern insgesamt nur etwa 18 Prozent mit Altschulden belastet. Außer Berlin wurden auch den Städten Dresden und Chemnitz sowie einer Reihe von Gemeinden in den ehemaligen Bezirken Dresden und Karl-Marx- Stadt die Schulden bereits zu DDR-Zeiten weitgehend erlassen.

Einige kleine Kommunen werden von den Altschulden besonders hart getroffen, weil sie für Bauprojekte aufkommen müssen, die früher unter überregionalen Gesichtspunkten bei ihnen gebaut wurden. Spitzenreiter bei der Pro- Kopf-Verschuldung ist Bernsdorf in Brandenburg. Hier kommen auf jeden der 167 Einwohner Altschulden in Höhe von über 13.000 Mark. Die DDR hatte hier für mehr als zwei Millionen DDR-Mark eine Schule errichtet.

An der Spitze der kommunalen Altschuldner steht die Stadt Leipzig mit einer Forderung des Bundes in Höhe von 417 Millionen Mark. Doch auch Leipzigs Oberbürgermeister Hinrich Lehmann- Grube lehnt es kategorisch ab, diese Verbindlichkeiten anzuerkennen. Die Baumaßnahmen seien der Stadt zugewiesen worden, sagt Lehmann-Grube, von kommunaler Selbstverwaltung in der DDR könne in keinem Fall gesprochen werden. Allein für das Neue Gewandhaus, soll die Stadt Leipzig heute 72 Millionen Mark Altschulden begleichen. Dabei handelte es sich bei dem 1981 fertiggestellten Konzertsaal um einen sozialistischen Renommierbau, auf dessen Planung und Bau der Rat der Stadt keinerlei Einfluß hatte. Im Gegenteil: In Leipzig gab es bis in den Rat der Stadt hinein gegen die Dimension des Projektes große Widerstände.