Der Charme der Steine

■ „Magie der Städte“: Franz Radziwill als Stadtmaler, ab heute in den Kunstsammlungen Böttcherstraße

Der Mythos Stadt hat die Kunstschaffenden der 20er Jahre gebannt wie kaum ein zweites Thema. Mal modernes Paradies, mal Hölle des Industriezeitalters: In jedem Fall faszinierten die Licht- und Schattenseiten der Stadt die Schriftsteller, Maler und Theaterleute. In den besten dieser Stadtansichten schimmert noch heute die unterschwellige Spannung durch zwischen den herrlichen und den schrecklichen Seiten der Metropolen. Die elegante Welt der Frankfurter Salons, wie sie Beckmann schildert, wird durch morbide Untertöne kommentiert; das bunte Kaleidoskop aus Häusern, Maschinen und Menschen, als das die italienischen Futuristen die Stadt sahen, hat auch stets etwas grandios Zusammenbrechendes.

In diese Reihe soll nun auch Franz Radziwill eingemeindet werden. „Die Magie der Städte“ lautet der programmatische Titel, unter dem die Kunstsammlungen Böttcherstraße Gemälde, Aquarelle und Zeichnungen des Künstlers ausstellen. Nach den Retrospektiven, mit denen andernorts der 100. Geburtstag des Meisters gefeiert wurde, haben sich die Bremer also einen besonderen Aspekt herausgepickt. Tatsächlich gehören Stadtansichten zum durchgängigen Motivschatz von Radziwill. Und weil sich praktischerweise auch einige bremische Straßen darunter befinden, bot sich das Thema für die Böttcherstraße quasi von selbst an.

Die Doppelgesichtigkeit der Stadt, das wird in der chronologischen Hängung der Bilder anschaulich, hat Radziwill von den ersten bis zu seinen letzten Bildern festzuhalten gesucht. Aber an Größen wie Grosz, Dix und Beckmann darf man den norddeutschen Autodidakten dann doch nicht ganz messen. Wo andere ein spannendes Gleichgewicht zwischen Faszination und Verteufelung der Stadt halten, setzt Radziwill auf allzu eindeutige Signale. Vor tintenblauem Düsterhimmel drapiert er goldglänzende Fassaden, unter mächtigen Architekturen zwingt er die geknechteten Menschlein auf Fußnotengröße. Bisweilen reicht er gar an den Kitsch naiver Malerei heran: Um die Schlechtigkeit des Krieges anzuprangern, wie dieser über die Städte herfällt, läßt er Stukas und Engelein Seit' an Seit' aus dem Weltuntergangshimmel plumpsen, und damit's auch jeder kapiert, malt er den Himmelboten noch eine Schriftrolle mit dem Aufdruck „Menschheit“ in die Hände – Titel des Werks: „Die Klage Bremens“.

Man tut Radziwill posthum keinen Gefallen, wenn man ihn – wie hier versucht – an den Klassikern der modernen Städtemaler mißt. Was man hier, an den Originalen, entdecken kann, ist allerdings ein äußerst erzählfreudiger Maler. Vielleicht ist der Hinweis der Kuratoren nicht ganz unwichtig, daß sich Radziwill stark mit den niederländischen Altmeistern beschäftigte. Deren „Schilderkunst“ findet sich hier in liebevoller Manier wieder aufgenommen. Wo die „mittleren Meister“ des 16. Jahrhunderts Seelandschaften Wolke für Wolke detailliert auf die Leinwand notierten, malt Radziwill, Ziegel für Ziegel, die Stadtlandschaften unserer Tage. Wenn dabei auch etwas „Magisches“ mitschwingt, sollte das nicht – wie im Nachhinein üblich – überinterpretiert werden. tw

„Magie der Städte“, bis 26.11., Kunstsammlungen Böttcherstraße