Zwei Drittel fürs Schlechte

■ Gab es in der letzten Legislaturperiode eine bündnisgrüne Kulturpolitik? Ein Gespräch mit Albert Eckert, dem scheidenden kulturpolitischen Sprecher der Partei

taz: Die Amtszeit von Ulrich Roloff-Momin geht zu Ende. Ist der Kultursenator gescheitert?

Albert Eckert: Roloff-Momin hat eine Menge Fehler gemacht. Daß die SPD ihn jetzt aber auf eine derart hinterhältige Weise fallenläßt, hat er nicht verdient. Er und sein Staatssekretär Sühlo haben für die Kultur mehr geleistet als andere in dieser Partei.

Roloff-Momin gilt als „Schiller-Killer“. Die Freie Volksbühne wurde geschlossen, als die Grünen an der Regierung waren.

Das war keine Entscheidung der Grünen, sondern eine der rot- grünen Koalition. Aber ich denke, es war richtig, dieses überschuldete private Theater nicht weiter auszuhalten. Die Mißwirtschaft der Freien Volksbühne steht in einem Bericht des Rechnungshofes, den ich noch heute in jede Sitzung des Unterausschusses Theater mitnehme. Als Anschauungsmaterial, wie man Subventionen nicht verteilen sollte.

Wie ist Ihre Bilanz nach sechs Jahren Abgeordnetenhaus? Hat es so etwas wie bündnisgrüne Kulturpolitik überhaupt gegeben?

Eine Erfolgsbilanz aus der Opposition heraus zu ziehen ist naturgemäß schwierig. In den letzten Jahren waren Bündnis 90/Die Grünen permanente Fürsprecher für die Kultur in den Bezirken, für die sich sonst keine der anderen Fraktionen wirklich interessiert. Wir haben uns außerdem dafür eingesetzt, daß die Rechtsform der großen Kultureinrichtungen geändert wird, und einige Fälle von Mißwirtschaft ans Tageslicht gebracht.

1994 wurde die Kreuzberger Galerie Franz Mehring aufgelöst. Damals kam kein Protest von Bündnis 90/Die Grünen.

Wenn in einem Bezirk wie Kreuzberg ein sehr beschränkter Etat für Kulturarbeit zur Verfügung steht, muß man Schwerpunkte setzen. Ich hatte nicht den Eindruck, daß die Galerie Franz Mehring zuletzt einen besonders großen Stellenwert für die Kultur im Bezirk hatte. Ich kann verstehen, daß der Bezirk die vorhandenen Mittel umverteilt. Und letztlich ist es Sache des Bezirks, wie er sein Geld ausgibt.

In der taz forderten Sie am 24.1.1994 die kostensparende Zusammenlegung der technischen Verwaltung von Kleinstmuseen und die Änderung ihrer Rechtsform in eine Stiftung. Das Museumsstiftungsgesetz gibt es mittlerweile, und es gibt auch viel Kritik daran: Stichwort Stadtmuseum. Die Sammlung Industrielle Gestaltung, das Jüdische Museum, sind das Betriebsunfälle?

Daß das Stiftungsgesetz geeignet ist, den Bestand der Berliner Museen zu sichern, bezweifle ich. Aber ich hätte es falsch gefunden, das Gesetz zu blockieren. Und ich kann mir durchaus vorstellen, daß eine Stiftung Stadtmuseum auch eine Sammlung Industrielle Gestaltung gut mitverwalten kann. Insgesamt war die Entscheidung, eine kostengünstigere und einfacher arbeitende Verwaltung zu schaffen, dringend notwendig.

Die Stiftung wird von dem Verwaltungsjuristen Reiner Güntzer geleitet. Vielleicht ist das das Problem?

Ein Jurist muß nicht unbedingt eine Fehlbesetzung sein. Die Chefin oder der Chef eines solchen Unternehmens muß in erster Linie der Kunst den Rücken freihalten.

Was taugt Roloff-Momins Finanzierungskonzept für die Berliner Theater?

Es ist ein erster, aber etwas halbherziger Schritt in die richtige Richtung. Den Theatern wird dadurch ermöglicht, erwirtschaftete Einnahmen einzubehalten und selber zu entscheiden, wann und wofür sie das Geld wieder ausgeben wollen. Doch die Änderung der Rechtsform, die darüber hinaus eine flexiblere Personalführung erlauben würde, ist leider unterblieben. Außerdem bedeutet dieses Förderkonzept eine enorme Benachteiligung der freien Gruppen gegenüber den sogenannten Privattheatern wie Hansa-Theater oder Tribüne, die für fünf Jahre unterstützt werden, ohne sich vor irgendeinem Kontrollgremium verantworten zu müssen. Und den Privaten auch noch die Tariferhöhungen zu bezahlen, den freien Theatergruppen aber grundsätzlich nicht, ist eine unverantwortliche Ungleichbehandlung.

Läßt sich so was nicht verhindern?

Das haben wir natürlich versucht. Aber in einer großen Koalition gibt es eine Zweidrittelmehrheit eben nicht für alles Gute, sondern auch für alles Schlechte. Und oft genug wurde diese Mehrheit für alles Schlechte verwandt. Sie wissen, wie sehr wir uns dafür eingesetzt haben, die Millionenvergeudung der Staatsoper öffentlich zu machen – und wie wenig ist letztlich geschehen.

Sie haben in Ihrem taz-Artikel geschrieben, daß staatlich gefördert werden soll, was sich kommerziell nicht trägt. Beim Schiller Theater, in dem manchmal nur zwanzig Leute saßen, ist man aber gerade mit Auslastungszahlen gekommen ...

Der Beirat für freie Gruppen steht immer wieder vor der schwierigen Entscheidung, zu beurteilen, was subventionswürdig ist und was nicht. Ich glaube, es ist notwendig, daß sich auch die großen Theater dem Votum eines solchen Gremiums stellen. Die einzigen Instanzen, die derzeit die etablierten Theater prüfen könnten, sind Parlament und Regierung.

Es soll also für Staats-, Privat- und Musiktheater jeweils einen eigenen Beirat geben?

Ich halte es für eine wichtige Aufgabe der nächsten Legislaturperiode, entsprechende Modelle zu erarbeiten. Das ist überfällig.

Uns erstaunt, daß es in Berlin fraktionsübergreifend Konsens zu sein scheint, daß für Kultur kein Geld mehr da ist.

Das ist kein Konsens, sondern eine Tatsache.

Oder vorauseilender Gehorsam...

Es gibt nur einen Ausweg aus der Verschuldung des Landes Berlin, und der heißt sparen. Aber nicht, indem man mit dem Rasenmäher alles kahl rasiert, sondern sich der Aufgabe gestalterisch stellt. Das ist im Kulturbereich auch möglich. Vielleicht nicht in dem Ausmaß, wie sich das einige Sparkommissare – auch bei den Grünen – vorstellen. Aber Verteilungskämpfe wird es geben müssen. In meiner Schublade liegen eine Menge Ideen, wie man das Berliner Kulturleben reicher gestalten kann und trotzdem mit den vorhandenen Mitteln auskommt.

Welchen Stellenwert hat Kulturpolitik innerhalb von Bündnis 90/Die Grünen?

Einen erfreulicherweise zunehmenden ...

Das klingt nach nicht viel. Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen war mit dabei, als der Unterausschuß Kultur ersatzlos gestrichen wurde.

Im Gegenteil: Der Unterausschuß Kultur sollte einzig auf Antrag von Bündnis 90/Die Grünen wieder eingerichtet werden. Mein Kollege Albert Schmidt ist auch immer wieder aktiv geworden, als es um die Unterstützung des Bundes für die Berliner Kultur ging. Da gab es letztens einen Antrag im Haushaltsausschuß, 30 Millionen Mark zusätzlich in die Berliner Kultur zu investieren. Das Geld sollte von Straßenbauprojekten und dem Etat des Deutschen Historischen Museums abgezogen werden.

Wie geht das zusammen, Kulturhoheit der Länder und Unterstützung der Berliner Kultur durch den Bund?

Die Kultur in der deutschen Hauptstadt muß ein Anliegen der gesamten Republik sein und nicht nur das von Berliner Lokalpolitikern oder dem Bundestag oder der Regierung. Die Bundesländer sollten die Chance nutzen, in der Hauptstadt präsent zu sein. So könnten etwa wichtige Ausstellungen aus deutschen Museen gelegentlich hier zu sehen sein.

Die Länder beteiligen sich bereits an der Berliner Kultur, Beispiel Stiftung Preußischer Kulturbesitz. Die kommt einem manchmal wie ein Moloch vor.

Ich will keinerlei Zentralisierung von Kultur. Das Gerede von der „Kulturhauptstadt Berlin“ verabscheue ich. Die Hauptstadt muß sich allerdings um Kultur in besonderer Weise kümmern, gerade auch um das nationale Erbe. Die Stiftung Preußischer Kulturbesitz tut das, ist aber gleichzeitig sehr schwerfällig und reformbedürftig. Das fängt bei der Beschriftung der Exponate an. Haben Sie jemals eine fremdsprachige Erklärung in der Gemäldegalerie gesehen?

Grüne Kulturpolitiker – darunter auch Sie – haben in letzter Zeit häufig betont, daß Kultur ein Wirtschaftsfaktor sei. Machen Sie damit nicht eine unangemessene Kosten-Nutzen-Rechnung auf?

Kultur als Wirtschaftsfaktor ist eine modische Hilfsargumentation der Kulturförderung. Aber es macht durchaus Sinn zu prüfen, welche Auswirkungen das kulturelle Angebot einer Stadt auf Investitionsentscheidungen von Unternehmern hat, nur kann sich Kultur nicht darüber legitimieren.

Ist das Schlagwort von der Kultur als Wirtschaftsfaktor also was für die Unbelehrbaren?

Es richtet sich an die, denen andere Argumente noch nicht reichen.

Interview: Ulrich Clewing

und Petra Kohse