Der Kampf der Bezirksfürsten

Auch bei der Wahl der 23 Bezirksverordnetenversammlungen und Bezirksbürgermeister hat das Wahlvolk an diesem Sonntag die Qual der Wahl: Freunde, Provinzfürsten, Koalitionen, Gegenkoalitionen  ■ Von Christoph Seils

Ihr politischer Einfluß in der Stadt ist eher gering. Nicht selten sind sie nur der verlängerte Arm der Regierung im Roten Rathaus. Und stellen sie sich doch einmal richtig quer, werden sie vom Senat schnell kaltgestellt. Die Bezirksbürgermeister haben es nicht leicht, dennoch wird um ihre Sessel in Berlins 23 Bezirken hart gefightet. 1992 dauerte es ein halbes Jahr, bis nach den BVV-Wahlen im Frühjahr in allen Bezirken die neuen Häuptlinge gekürt waren.

Damals besannen sich die anderen Parteien darauf, angesichts des überraschenden Wahlerfolges der PDS in Ostberlin Zählgemeinschaften zu bilden. So wurde verhindert, daß PDS-Kandidaten zum Bürgermeister gewählt wurden. Man wich damit von der vorher gängigen Praxis ab, daß die stärkste BVV-Fraktion den Bezirksbürgermeister stellt.

Doch die CDU hat bislang das von allen anderen Parteien geforderte politische Bezirksamt abgelehnt. Nur für die Wahl der Bezirksbürgermeister können die Parteien der BVVs in Zählgemeinschaften politische Mehrheiten bilden, die Stadtratsposten oder die vier zukünftigen Ressortchefs werden weiterhin nach dem Parteienproporz vergeben.

Sechs Bezirksbürgermeistersessel werden in jedem Fall neu besetzt werden, weil die bisherigen Amtsinhaber für das Amt nicht wieder kandidieren. Der langjährige Bürgermeister von Wilmersdorf, Horst Dohm (CDU), geht in den Ruhestand. Sein Parteifreund und Amtskollege Ulrich Menzel in Zehlendorf mußte auf eine erneute Kandidatur verzichten, nachdem ihm vorgeworfen worden war, einem Parteifreund Aufträge für Sicherheitsdienste im Sozialamt zugeschanzt zu haben.

Die Bürgermeister von Neukölln, Hans-Dieter Mey/CDU, und Tiergarten (Wolfgang Naujokat/SPD) sowie die Bürgermeisterin von Hohenschönhausen (Brunhild Dathe/parteilos für Bündnis 90) verzichteten auf eine erneute Kandidatur. Der SPD-Bürgermeister von Marzahn, Andreas Röhl, wurde bei der Urwahl Anfang 1995 von seinen Parteifreunden nicht wieder nominiert.

Es müßte mit dem Teufel zugehen, wenn in neun Berliner Bezirken der alte Bürgermeister nicht auch der neue sein wird. Zu den sozialdemokratischen Bürgermeistern von Pankow (Jörg Richter), Köpenick (Klaus Ulbricht), Schöneberg (Uwe Saager), Prenzlauer Berg (Manfred Dennert), Treptow (Michael Brückner), Weißensee (Gert Schilling) und Wedding (Hans Nisblé), sowie den CDU- Bürgermeistern von Tempelhof (Wolfgang Krüger) und Steglitz (Herbert Weber) gibt es weder personell noch politisch eine Alternative. Ihre Arbeit ist anerkannt, sie genießen in ihrem Bezirk einen guten Ruf. Selbst wo das nicht der Fall ist, werden sich Mehrheiten für einen anderen Bürgermeister bei den Wahlen mit großer Wahrscheinlichkeit nicht ergeben. In den drei Westberliner Bezirken Zehlendorf (Klaus Eichstädt), Neukölln (Bodo Manegold) und Wilmersdorf (Michael Wrasmann) hat die CDU am Sonntag mit neuen Kandidaten sicher wenig Probleme, ihre Bürgermeisterposten zu verteidigen.

In Reinickendorf und Spandau jedoch wird es die SPD einige Mühe kosten, die Bürgermeisterposten zu halten. In Spandau will Konrad Birkholz (CDU) den derzeitigen Amtsinhaber Sigurd Hauff (SPD) aus seinem Amt vertreiben.

In Reinickendorf regiert seit 1992 Detlef Dzembritzki. Dieser konnte inzwischen zum Landesvorsitzenden der SPD aufsteigen, doch gegen seine Herausforderin Marlies Wanjura (CDU) hat er vermutlich selbst mit der Unterstützung der Bündnisgrünen die schlechteren Karten.

Vollkommen offen scheint das Rennen um den Bürgermeisterposten in Charlottenburg zwischen der Amtsinhaberin Monika Wissel (SPD) und dem Herausforderer Helmut Heinrich (bislang für die CDU Finanzstadtrat) zu sein. Die Ampel-Koalition im Bezirksamt ist hier vollkommen zerstritten.

Bei den Auseinandersetzungen um die Bebauung des Parkplatzes zwischen Wieland- und Leibnizstraße wurde die SPD von den Bündnisgrünen scharf angegriffen. Gemeinsam stimmten CDU und Bündnisgrüne gegen das von dem SPD-Baustadtrat entwickelte Neubauprojekt. Für die Zeit nach den Wahlen wollen sich die dortigen Bündnisgrünen alle Optionen offenhalten.

In den Bezirken Tiergarten und Kreuzberg könnten unter bestimmten Umständen sogar die Grünen bei der Vergabe des Bürgermeistersessels mitreden. In beiden Bezirken lagen CDU, SPD und Bündnisgrüne bei den letzten Kommunalwahlen 1992 fast gleichauf.

In Kreuzberg macht Bürgermeister Peter Strieder (SPD) Wahlkampf mit dem Tempodrom, das er gegen den Widerstand der Bündnisgrünen Baustadträtin und Bürgermeisterkandidatin Erika Romberg an den Anhalter Bahnhof geholt hat. Es könnten allerdings auch die Christdemokraten mit Wulf Peter zur stärksten Partei werden.

Im Bezirk Tiergarten tritt gegen den bisherigen Baustadtrat Horst Porath (SPD) Dieter Ernst (CDU) an. Die Grünen jedoch lagen 1992 nur dreieinhalb Prozent hinter SPD und CDU. Der Bezirk hat wie kein anderer in der Stadt unter dem Ausbau Berlins zur Hauptstadt zu leiden, dies könnte den Bündnisgrünen Auftrieb geben. In Ostberlin heißt es in sechs Bezirken: „Alle gegen die PDS.“ Doch ob sich nach den BVV-Wahlen wieder alle Bezirksverordneten der übrigen Parteien auf eine Anti- PDS-Front einschwören lassen, ist offen. Die besten Aussichten auf den Bürgermeisterposten hat die PDS in Hohenschönhausen und Hellersdorf.

In Hohenschönhausen wollen die Bündnisgrünen darüber diskutieren, ob sie eventuell der parteilosen Bürgermeisterkandidatin der PDS, Bärbel Grygier, in das Amt verhelfen.

In Hellersdorf könnten zwei konkurrierenden Grüne Listen der PDS und ihrem Kandidaten Sozialstadtrat Uwe Klett den Weg zur absoluten Mehrheit öffnen, wenn beide an der Fünfprozenthürde scheitern. Als Alternative stünde in Hohenschönhausen der Finanz- und Umweltstadtrat Matthias Stawinoga (SPD) und in Hellersdorf der derzeitige Bürgermeister Bernd Mahlke (SPD) bereit.

Doch auch in Marzahn könnte mit Harald Buttler ein PDS-Kandidat das Rennen machen, denn die SPD ist zerstritten, und der in der Urwahl zum Bürgermeisterkandidaten gekürte Wolfgang Unger ist bei den Marzahnern wenig bekannt. Vom derzeitigen Marzahner Bürgermeister ist zu hören, daß er den PDS-Kandidaten für wesentlich qualifizierter hält als seinen eigenen Parteifreund.

Ob sich in Lichtenberg noch einmal der bündnisgrüne Bürgermeister Gottfried Mucha durchsetzen kann, ist fraglich. 1992 war er von der Zählgemeinschaft zum Bürgermeister gewählt worden, weil SPD und CDU sich den Posten gegenseitig neideten. Doch dieses Mal hat vermutlich der Sozialdemokrat Jürgen Bergmann die besten Karten.

In Friedrichshain wird mit Unterstützung von CDU und Bündnisgrünen wohl der bisherige SPD- Bürgermeister Helios Mendiburu das Rennen machen. Ein totes Rennen könnte es in Mitte geben, weil die Bündnisgrünen kaum noch einmal Bürgermeister Gerhard Keil (SPD) ins Amt verhelfen werden. Schließlich hat der Sozialdemokrat mit der PDS die bündnisgrüne Baustadträtin entmachtet. Doch ein Bündnis von SPD und PDS könnte genauso Konsequenzen haben wie ein Sieg der PDS-Kandidatin Silvia Jastrzembski. Für letzteren Fall wird im Senat bereits darüber nachgedacht, die Bezirke Tiergarten und Mitte möglichst bald zusammenzulegen.