Ein Blick zurück im Zorn

Der Berliner Kultursenator Roloff-Momin nimmt am Ende seiner Amtszeit endlich das Blatt vom Mund  ■ Von Petra Kohse

Über kulturpolitische Konzepte schweigt man in Berlin derzeit am liebsten. Dennoch kommt das Thema in verschiedensten Gesprächsrunden immer wieder auf die Tagesordnung, um durch den Austausch allgemeiner Bedenklichkeiten zumindest den Anschein von Beflissenheit zu erwecken. Schließlich ist Berliner Kultur ein Politikum von überregionaler Bedeutung, und das nicht erst seit dem Sommer 1993, als die Schließung des Schiller Theaters bundesweit signalisierte, daß kulturelle Institutionen auch zur Disposition stehen können.

660 Millionen Mark Bundeszuschüsse für Berliner Kultur wurden seit 1991 gestrichen, was nicht nur unwürdige Bettelorgien Berliner Politiker in Bonn nach sich zog, sondern auch das Prinzip der föderalen Zuständigkeit für Kultur bei zusätzlicher stillschweigender Bundesbezuschussung erstmals öffentlich in Frage stellte. Indem die Bonner die Notwendigkeiten ignorierten, zwangen sie die Berliner, auf ihren Sonderstatus als neuer Hauptstadt zu pochen. Daraus wiederum ergab sich die Diskussion über das Selbstverständnis Berlins als deutsche oder europäische Hauptstadt, als etwaige „Kulturhauptstadt“, und über den zentralistisch oder föderal geprägten Zuschnitt dieser Hauptstadtkultur.

Nebenbei spitzt sich die Situation in der Stadt zu. Kaum eine Woche vergeht, in der die Schreckensvision vom definiven Berliner Kulturabbau nicht Nahrung erhält. Da droht Deutschlands einziges Kinderliteraturhaus zu verhungern, da vertreiben horrende Ateliermieten die bildenden KünstlerInnen, da offenbart sich, daß das neuerdings in eine Museumsstiftungseinheit integrierte Jüdische Museum keinen eigenen Ankaufsetat bekommt.

Als Notreaktion schlossen sich letztes Jahr etwa 90 Berliner Kulturinstitutionen zu einem Rat für die Künste zusammen, als ideelles Bollwerk gegen Rotstiftpolitik und auf die Repräsentativkultur fixiertes „Leuchtturmdenken“. Eine modellhafte Initiative, und doch kaum mehr als eine Goodwill-Organisation.

Wie also sieht es heute aus mit der Berliner Kulturpolitik, im Jahre sechs nach dem Mauerfall und drei Tage vor den Wahlen zum Berliner Abgeordnetenhaus? Alles ist offen. So offen, daß nicht einmal klar ist, ob es in der nächsten Legislaturperiode noch eine Senatsverwaltung für kulturelle Angelegenheiten geben wird. Denn im Zuge eines löblichen Verwaltungsabbauprogrammes müssen fünf der fünfzehn Senatsressorts aufgelöst werden.

Wird sich das kleine Kulturressort als eigenständige Verwaltung halten können, wie es der Rat für die Künste fordert? Oder entscheidet man sich für eine Angliederung an die Wissenschaft, the traditional way? Oder aber setzt sich der in Zeiten der Grundstückspekulationen waghalsige, aber vielleicht progressive Vorschlag durch, die Kultur der Stadtentwicklung anzugliedern? Bündnis 90/Die Grünen favorisieren das, auch die CDU wäre nicht abgeneigt, und die SPD hat keine Meinung.

Und wer steht als Kultursenator zur Debatte? Die wahlkämpfende CDU („Wer rot-grün wählt, riskiert die Kommunisten“) schwelgt in der Vorstellung, sich das Kulturressort unter den Nagel zu reißen. Mehrere potentielle Senatorennamen kursieren: Christoph Stölzl, der Direktor des Deutschen Historischen Museums, der renommierte Theateranwalt Peter Raue, der ehemalige Kultur- und jetzige CDU-Stadtentwicklungssenator Volker Hassemer oder gar – ganz hausbacken – Uwe Lehmann- Brauns, kulturpolitischer Sprecher der CDU. Wer immer auch genannt wird: Fraktionschef Klaus- Rüdiger Landowsky versäumt keine Gelegenheit, eine mögliche rote oder (o Schreck!) gar grüne Besetzung als irreversiblen Weg in die Barbarei zu propagieren.

Die SPD-Fraktion („Für eine bessere Politik“) setzt diesem Getöse nichts, aber auch gar nichts entgegen. Sie weigerte sich sogar lange Zeit, eine Haltung zu dem von ihr nominierten und seit 1991 amtierenden Kultursenator Ulrich Roloff-Momin, dem ehemaligen Präsidenten der Westberliner Hochschule der Künste, einzunehmen. Auch als sich dieser als zukünftiger Doppelsenator für Kultur und Wissenschaft andiente, wurde er von der Parteispitze weder gestützt noch zurückgepfiffen. Roloffs Alleingang in eigener Sache wurde schon Anlaß für hämische Witze, als sich die Nadel im Sympathiekompaß jetzt doch in seine Richtung drehte.

Denn als sich die SPD-Spitzenkandidatin Ingrid Stahmer nun endlich doch zum Thema äußerte, schlug sie – indiskutabel und offenbar in strafender Absicht – ausgerechnet Walter Momper als Kultursenator vor, den ehemaligen Regierenden Bürgermeister, Mitbewerber um die Spitzenkandidatur und Immobilienspezialisten. Das war zuviel für Ulrich Roloff- Momin, der sich jahrelang als öffentliches Haßobjekt für unpopuläre kulturpolitische Entscheidungen des Parlaments zur Verfügung gestellt hatte, und dem die SPD schon in der Frage der Vermietung des Schiller Theaters an Peter Schwenkow fast einmütig in den Rücken gefallen war. Er ist verbittert, und wer könnte es ihm verdenken. „So kann man doch nicht mit einem Menschen umgehen“, meint auch Albert Eckert, der kulturpolitische Sprecher der Bündnisgrünen.

Roloff-Momins Bilanz seiner Amtszeit am Mittwoch war entsprechend ein Blick zurück im Zorn. Durch CDU-Enttarnungsgeschichten versuchte er, seine Enttäuschung durch die eigene Partei zu kompensieren. Vor 40 besetzten und weit mehr unbesetzten Stühlen nahm der Noch-Senator im Grünen Salon der Volksbühne das Blatt vom Mund.

Er erinnerte daran, daß er, der allseits als Polterer verschrien ist, den Kulturetat trotz der Millionenkürzungen durch Bonn von insgesamt 911 Millionen (1991) auf 1,123 Milliarden Mark (1996) erhöhen konnte. Auch betonte der „Schiller-Killer“ erneut, daß die Schließung des Staatstheaters West eine „Entscheidung der Volksvertreter“ gewesen sei, und daß die Berliner CDU unter Führung des „Brunnenvergifters“ Landowsky eigentlich auch die Volksbühne und das Maxim Gorki Theater hatten schließen wollen.

Im Dienste der historischen Wahrheit wollte Roloff-Momin auch seine Rolle bei den Verhandlungen um die Bundeszuschüsse für die Berliner Kultur richtiggestellt sehen. Als er mit Bonn bereits einen Vertrag über 148 Millionen Mark jährlich unterschriftsreif ausgehandelt hatte, habe ihm der Regierende CDU-Bürgermeister Eberhard Diepgen die Verhandlungsführung entzogen – aus Angst, ein Kulturvertrag würde sich nachteilig auf den Hauptstadtvertrag auswirken. Erst als nur noch 30 Millionen Mark zur Debatte standen, sei er als Buhmann wieder vorgeschickt worden.

Ach Ulrich, hätten wir das nur gewußt... Aber diesen Schuh wird sich der Kultursenator anziehen müssen: Wenn er die kulturpolitischen Machenschaften der Großen Koalition für nicht vertretbar gehalten hat, dann hätte er die Pflicht gehabt, zurückzutreten. Doch der Sesselklebstoff wirkt zuverlässig – unter Umständen will Roloff-Momin als Kultursenator auch einer nächsten Regierung zur Verfügung stehen.

Andererseits sind seine Zukunftsprognosen zwar nicht düster, aber doch sehr schwarz. Der Schiller-Schock säße zwar so tief, daß es zu einschneidenden Sparmaßnahmen im Kulturbereich nicht mehr kommen werde, meinte Roloff-Momin, aber die Bundesregierung wünsche sich einen Kultursenator, „der nicht dauernd widerspricht, sondern dem ,Oberkulturkanzler‘ huldigt und bei noch so kleinen zugeworfenen Brocken in Jubel verfällt“. Auch prangerte er die Zumutung des Bundes an, bei Personalentscheidungen im Berliner Kulturbereich mitreden zu wollen, obwohl Bonn sich doch kaum mit drei Prozent an der Berliner Kulturfinanzierung beteilige.

Die zukünftige Berliner Kulturlandschaft – ein schwarzbonner Märchenpark? Der Mangel an basisnaher Kulturpolitik sollte nicht darüber hinwegtäuschen, daß es gerade in Berlin ein renommierträchtiges Feld dafür gibt. Die aus Bonn mitfinanzierten Edel-Institutionen wie die Deutsche Oper sind weit über Berlin hinaus bedeutend für die Stadt, und doch prägen sie ihre Kultur nur zum Teil. In den letzten Jahren sind aus eigener Kraft Kulturzentren wie das Tacheles oder die KulturBrauerei entstanden und haben maßgeblichen Anteil an der attraktiven Außenwirkung Berlins.

Ulrich Roloff-Momin hat wohl die schwersten Kulturjahre Berlins seit der Zeit vor dem Mauerbau mit Hängen und Würgen, aber eben doch gemanagt. Jeder nach ihm wird bald mehr zu verteilen haben. Und bei der Frage, ob nun die „Leuchttürme“ oder die Soziotope Berlins gestärkt werden sollen, könnte man es gelassen auf einen der nach der neuen Verfassung dann möglichen Volksentscheide ankommen lassen.