Raumstation Alpha ist die moderne Kathedrale

■ Als Bürgermeister freut sich Scherf über die Sicherung der Arbeitsplätze in der Dasa-Raumfahrt, der Sozialdemokrat Scherf hatte einst in seiner Partei gegen den Unsinn der Milliarden-Verschwendung gestritten

„Erleichtert dürften die Raumfahrt-Techniker bei der Dasa in Bremen sein“, so beginnt der Weser Kurier gestern seinen Kommentar zur Entscheidung der Esa in Toulouse. „Für Bremen ist das Ergebnis der Verhandlung in Toulouse eindeutig erfreulich. Denn es sichert hochqualifizierte Arbeitsplätze.“ In diesem Sinne hatte sich Bürgermeister Henning Scherf vor wenigen Wochen im Hinblick auf die Esa-Konferenz geäußert. Mit sozialdemokratischen Positionen hat das wenig zu tun. Konsterniert hatte Scherf vor Jahren einmal formuliert: „In der BRD sichert die Raumfahrtindustrie ganze 5.200 Arbeitsplätze, was ist das für ein Mittel-Zweck-Verhältnis?“

Der Sozialdemokrat Scherf ist auch aus anderen Gründen klar gegen die Milliarden-Verschwendung mit der bemannten Raumfahrt. 1987/88 hatte Scherf erreicht, daß die Partei sich auch in Beschlüssen festlegt: „Wir brauchen keine bemannte Raumstationen, wir haben auf der Erde genug zu tun.“

Die Argumente klingen so frisch, als seien sie gerade formuliert. Nur: Mit SPD-Positionen läßt sich im Bremer Rathaus nicht regieren. Schon damals hatte Alt-Bürgermeister Koschnick im Bundestag den Geldausgaben der CDU für die bemannte Raumfahrt gegen seine Fraktion zugestimmt und in aller Offenheit begründet: „Ist ja nicht nur alles Verstand, es gibt auch Regionalinteressen. Ich bin ein Bremer, ein bißchen doof, aber bevor ich etwas Besseres weiß, kämpfe ich für meine Region.“

Das scheint sozusagen die Rathaus-Position zu sein, Henning Scherf hatte schon im Hinblick auf das Jäger-90-Nachfolgeprojekt „Eurofighter“ deutlich gemacht, daß man mit SPD-Positionen nicht regieren kann. Für das Ringen Bremens um die Beteiligung Deutschlands an der Raumstation Alpha gilt dasselbe. Scherf hat in den vergangenen Wochen zu dem Thema geschwiegen, die „Rathaus-Position“ hat dafür gestern der Weser Kurier-Kommentar lupenrein verteidigt: „Vom Nutzen der bemannten Raumfahrt sind längt nicht alle überzeugt“, räumt der „Weser Kurier“, der die Rathaus-Position gestern formuliert hat, bedenklich ein. „Längst nicht alle“ verweist verschämt darauf: die große Mehrheit der fachkundigen Wissenschaftler ist eher dagegen.

Vor Jahren schon hat der Leiter der Max-Planck-Gesellschaft, Prof. Staab, festgestellt, daß die Forschungsstragien in diesem Bereich „außen- und bündnispolitische Gründe“ entscheidend seien, „unter rein wissenschaftlichen Aspekten“ würde man anders handeln. Und auch der Leiter des Frauenhofer-Institutes für Innovationsforschung, H. Krupp, hatte klargestellt, daß von der bemannten Raumfahrt keine besonderen wissenschaftlichen Ergebnisse erwartet werden können, die unbemannte Satelliten oder Forschungen auf der Erde nicht genauso zeitigen könnten.

Scherf erinnerte daran: der vielgepriesene „spin-off“ der Raumfahrt-Technologie hat nur magere Ergebnisse hervorgebracht, selbst die berühmte Teflon-Pfanne sei kein Abfall-Produkt der Raumfahrt, sondern wurde 1938 von der Firma Du-Pont entwickelt. Scherf zitiert Genschers Planungsreferent: „Es ist evident, daß Investitionen in andere in andere Technologien sich besser rechnen.“

Auf die Frage nach dem „Nutzen der bemannten Raumfahrt“ sagt die Stimme des Rathauses im Weser Kurier denn auch vorsichtig, „gibt es selbstverständlich keine eindeutige Antwort, weil neben wissenschaftlichen auch politische, psychologische und kulturelle oder zivilisatorische Aspekte eine Rolle spielen“. Die wissenschaftlichen Aspekte spielt in der weiteren Argumentation keine Rolle mehr. Denn „natürlich kann man sich auf den Standpunkt stellen, daß Roboter in der Erdumlaufbahn eine Reihe von Experimenten ebensogut ausführen können“.

Das „klare Nein“ gegen dieses fachliche Argument begründet der Weser Kurier in den Sphären der Psychologie: „Die Kreativität wird am besten beflügelt, wenn man überraschende Ergebnisse unmittelbar erlebt.“ Fachlich gesehen ist das Nonsense, man stelle sich nur die Wissenschaftler vor den Monitoren in den Raumfahrt-Zentren vor, wie sie „überraschende Ergebnisse unmittelbar erleben“!

Die Argumente des Weser Kurier-Kommentars geben den Kritikern recht und weichen Satz für Satz mehr aus: „Braucht man Experimente im Weltraum überhaupt? Nicht immer haben sie einen direkten Nutzen. Aber sie regen das Denken an, das sich leicht in eingefahrenen Bahnen festläuft.“

Und dann hebt der Kommentator richtig ab und greift tief in das Repertoire der Männerstammtische: „Früher hieß es, der Krieg sei der Vater aller Dinge, weil er Extremanforderungen stellt .... Die Raumfahrt gleicht in einer Zeit des Materialismus und Positivismus in gewisser Weise dem herkömmlichen Streben nach Überschreiten der menschlichen Grenzen in Religion und Philosophie.“ Nicht mehr als zwanzig Zeitungszeilen stehen zwischen der Frage nach dem Nutzen von Forschungs-Milliarden und dem Erklimmen religiöser Höhen. Und dann: „Der Vorstoß ins All ist auf seine Art ein Ersatz für die Kathedralen früherer Jahrhunderte... Kathedralen waren immer auch Prestigeobjekte.“

Und so weiter. Dieser durchaus üblichen Art der Begündung der Milliarden-Ausgaben setzt der Sozialdemokrat Scherf glasklar entgegen: „Wir brauchen in Europa keine prestigeträchtigen bemannten Raumfahrt-Projekte. Hinter der bemannten Raumfahrt als Symbol der nationalen Stärke steckt ein nationaler oder europäischer Hegeminialgedanke. Der Technikmythos als Mythos der Nation, die Realitätsverdrängung auf der Erde.“

Scherf wußte darüber hinaus schon in der SPD-Debatte vor sieben Jahren: Hinter den Projekten der bemannten Raumfahrt steht keine Religion, keine Wissenschaftspolitik, keine Arbeitsmarktpolitik, sondern vor allem das militärische Nutzungsinteresse. Der frühere Esa-Direktor Gipson hat das jetzt klar ausgesprochen, und der Dasa-Vorstand Heinzmann auch.

In einigen Jahren, wenn die SPD-Beschlüsse vollendes in Vergessenheit geraten sind, wird ein Gerede über die Finanzierung des Columbus-Projektes anheben, die keineswegs gesichert ist. Und dann wird man das derzeit religiös begründete und angeblich „rein zivile“ Projekt aus dem Militärbudget retten. K.W.