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Berlin ist Metropole der Mehrwegmuffel

An der Spree werden überdurchschnittlich viele Einwegdosen konsumiert – Mehrwegflaschen sind out. Die Verpackungsverordnung wird nicht eingehalten. S.A.U.: „Die Sortierquote wird beschönigt.“  ■ Von Volker Wartmann

Um Müllvermeidung scheren sich die BerlinerInnen wenig: „Während im Bundesdurchschnitt pro Kopf und Jahr 27 Liter Erfrischungsgetränke aus Dosen konsumiert werden, sind es in Berlin 70 Liter. Bundesweit werden nahezu drei Viertel aller Getränke in Mehrwegflaschen gekauft, in Berlin sind es dagegen nur 38 Prozent“, erläutert Dagmar Saurbier, Mitarbeiterin bei der Verbraucherzentrale Berlin, das Konsumverhalten der BerlinerInnen. Daß diese solche Mehrwegmuffel sind, erklärt sich die Umweltberaterin zum Teil aus deren Bequemlichkeit: „Zudem gleicht es ja manchmal einer Odyssee, wenn man seine Pfandflaschen zurückgeben möchte. Es kommt oft vor, daß man wegen der vielfältigen Gefäßformen in mehrere Läden gehen muß, um seine Pfandflaschen abgeben zu können.“ Da erscheine die Wegwerfpackung wohl vielen praktischer. Durchschnittlich etwa 90 Kilogramm Verkaufsverpackungen schmeißt jedeR BerlinerIn jährlich in den Müll. Das ist bundesweit „Spitze“.

Laut Gesetz ist der Handel seit Januar 1993 dazu verpflichtet, Verkaufsverpackungen unentgeltlich zurückzunehmen und zu entsorgen. Er kann diese Aufgabe jedoch auch Dritten übertragen. Deshalb gründeten Unternehmen des Handels, der Konsumgüterindustrie, der Verpackungswirtschaft sowie Vormaterialhersteller Anfang der neunziger Jahre die Duales System Deutschland. Partner des Dualen Systems in Berlin ist Die Andere Systementsorgungsgesellschaft (DASS). An der DASS sind die BSR und ALBA mit jeweils 50 Prozent beteiligt. Das Duale System muß garantieren, daß gebrauchte Verkaufsverpackungen in einem Extra-Sammelsystem (Altglas, Altpapier, Leichtverpackungen) haushaltsnah erfaßt und recycelt werden. Zur Verwirklichung dieses Ziels wurden regionale Entsorgungsunternehmen mit der Erfassung und Sortierung des Verkaufsverpackungsmülls beauftragt. Für diese Dienstleistung müssen die Hersteller von Einwegverpackungen eine Lizenzgebühr für den Grünen Punkt an das Duale System entrichten. Diese beträgt derzeit für Kunststoffverpackungen 2 Mark 95 und für Aluminiumverpackungen 1 Mark 50 pro Kilogramm. „Diese Kosten, die das Extra-Entsorgungssystem mit sich bringt, werden über die Verkaufspreise an die Verbraucher weitergegeben. Nach kritischen Berechnungen können diese Kosten für einen Haushalt bis zu 600 Mark pro Jahr betragen“, erklärt Dagmar Saurbier. Um das Duale System transparenter zu machen, fordert die Verbraucherzentrale eine Auspreisung der Kosten für den Grünen Punkt auf den einzelnen Produkten.

In der sogenannten Verpackungsverordnung ist gesetzlich festgeschrieben, wieviel Prozent des anfallenden Verpackungsmülls über das Duale System wieder eingesammelt werden muß. (Dabei galten 1994 für die verschiedenen Materialien verschiedene Prozentsätze.) Von dieser erfaßten Menge wiederum muß ein gewisser Prozentsatz in stofflich verwertbarer Qualität aussortiert und recycelt werden. Aufgrund einer Übergangsregelung mußten 1994 nur 50 Prozent des gesamten Verpackungsmüllaufkommens vom Dualen System erfaßt werden. Diese Quote konnte nach Angaben von cyclos, einer unabhängigen Beratungsgesellschaft für Ökologie, Energie- und Abfallwirtschaft aus Osnabrück, in Berlin mit 62 Prozent deutlich überschritten werden. Eine nähere Betrachtung der Zahlen zeigt jedoch, daß die Quote hauptsächlich aufgrund der gewohnheitsmäßig ausgeprägten Bereitschaft, Altglas- und Altpapier zu sammeln, erreicht wurde. Bei den Weißblechverpackungen dagegen landeten nur 14 Prozent in den gelben Tonnen und damit auf den Sortierbändern der DASS. Vorgeschriebene Quote laut Verpackungsverordnung sind mindestens 40 Prozent. Bei Aluminium waren es nur 26 Prozent: vorgegeben laut Gesetz sind mindestens 30 Prozent. Ab 1. Juli 1995 ist für die einzelnen Verpackungsmaterialien (Glas, Weißblech, Aluminium, Pappe und Karton, Papier, Kunststoff, Verbunde) eine Erfassungsquote von jeweils 80 Prozent vorgesehen. Auch die Sortierquote, also der Prozentsatz des Materials, welches in stofflich recycelbarer Qualität aussortiert werden muß, wird dann bei allen Stoffen auf mindestens 80 Prozent angehoben.

Für 1994 lag die vorgegebene Sortierquote für Aluminium bei 60 Prozent. Laut cyclos-Bericht wurde diese Marke mit 64 Prozent knapp erreicht. Jedoch nur unter Zuhilfenahme „einiger unschöner Beschönigungen“, wie die Umweltgruppe SchülerInnen Aktion Umwelt (S.A.U.) herausgefunden hat. Nach ihren Informationen beinhaltet die aussortierte Menge von 767 Tonnen nämlich 400 Tonnen Aluminium, die in Form von Alu-Einweggeschir aus Krankenhäusern und Deckeln von Getränkeflaschen von den Herstellern direkt – und nicht über den Weg der gelben Tonne – zurückgenommen und der Verwertung zugeführt wurden. Nach Ansicht der S.A.U. dürfte diese Menge nicht als Leistung des Dualen Systems miteinberechnet werden: „Denn wenn man den Wortlaut der Verpackungsverordnung wörtlich nimmt und eine eigene Definition der DSD als Grundlage, dann ist nur die Leistung der Sortieranlagen konkret zu betrachten.“ Die anderen einberechneten 367 Tonnen sind Ergebnis der Sortierleistung der DASS. Dabei handelt es sich jedoch um verunreinigtes Aluminium, das erst noch in einem Pyrolyse genannten Verfahren gereinigt werden muß. „Genaugenommen müßte die Menge an Aluminium, die nach der Pyrolyse übrigbleibt, als Grundlage für die tatsächliche Verwertungsmenge herangezogen werden“, so Gudrun Pinn, freie Abfall- und Umweltberaterin und gleichzeitig Mitarbeiterin bei Müllnetz, einer Bündelung von Umweltgruppen, die sich mit Abfallthemen beschäftigt. „Bis zu 60 Prozent kann die Menge der Stoffe betragen, mit denen das Alu, das von den Sortierbändern der DASS kommt, verunreinigt ist.“ Korrekterweise dürfte in die Sortiermenge eigentlich nur das gereinigte Aluminium einberechnet werden und nicht die verunreinigten 367 Tonnen. Würden diese Fakten bei der Berechnung berücksichtigt, käme bei der Ermittlung der Sortierquote ein Wert weit unter den vorgeschriebenen 60 Prozent heraus.

Gerade aufgrund der Brisanz der Aluminiumverschwendung und geringen Wiederverwertungsquote in Berlin scheint es nicht verwunderlich, daß der Bericht über die erbrachte Leistung des Dualen Systems dem Senat schon seit dem 2. Mai vorliegt, aber nach Angaben der Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Umweltschutz noch immer geprüft wird. Die unbefriedigende Alu-Recyclingquote könnte die öffentliche Diskussion über eine „Zwangsbepfandung“ von Aluminiumdosen wieder aufleben lassen.

Aluminium ist ein Stoff, dessen Produktion sich äußerst schädigend auf die Umwelt auswirkt. „Zum einen ist die Produktion sehr energieintensiv, zum anderen entstehen bei der Primärherstellung perflourierte Kohlenwasserstoffe, die für das Klima 6.000mal schädlicher sind als Kohlendioxyd“, so Gudrun Pinn. „Deshalb sollte Aluminium zu 100 Prozent wiederverwertet werden.“

Aufgrund der gegenüber Mehrwegverpackungen meist schlechteren Ökobilanz von Einwegprodukten und der Mangelhaftigkeit des Dualen Systems fordert daher die Verbraucherzentrale die KonsumentInnen dazu auf, möglichst wenig Produkte mit dem Grünen Punkt zu kaufen. „Wann immer möglich, sollte der Verbraucher auf Produkte in Mehrwegverpackungen zurückgreifen“, rät deshalb Dagmar Saurbier. „Der Verzicht auf den Kauf von Miniverpackungen und die Bevorzugung von losen oder in Papier verpackte Waren ist eine weitere Möglichkeit, das Müllaufkommen zu mindern.“ Von politischer Seite muß ihrer Ansicht nach die Ausweitung und Vereinfachung des Pfandsystem forciert werden. „Durch eine verstärkte Normierung der Mehrwegverpackungen könnte die Rückgabe für die Kunden enorm erleichtert und damit auch die Akzeptanz des Pfandsystems gesteigert werden.“

Infos: Verbraucherzentrale, Telefon 2 14 85-170

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