Ein normaler Sonntag

■ Beim Wahlergebnis bleibt in einer Kreuzberger WG diesmal die Glotze aus

Bei den vergangenen Wahlen ging es in einer Kreuzberger WG in der Köpenicker Straße immer hoch her. Schon lange vorher wurden im Freundeskreis Wetten abgeschlossen, und am Wahltag stieg eine dicke Party. Doch diesmal haben die WG-Bewohner dazu überhaupt keine Lust. Der 35jährige Sozialarbeiter Thomas Kehlert schildert die Gründe.

taz: Warum gibt's bei euch diesmal weder Wetten noch Parties?

Thomas Kehlert: Aufgrund der Langeweile im Wahlkampf. Wir lesen täglich zwei Tageszeitungen, schauen Fernsehen und gucken uns die Wahlplakate an. Es findet schlichtweg nichts statt, was uns den Wahlkampf ein bißchen schmackhaft machen könnte.

Vielleicht gibt's am Wahltag aber noch eine Überraschung. Oder meinst du nicht?

Das halten wir für ausgeschlossen. Der Ausgang der Wahl ist doch schon klar. Die Große Koalition wird weiterbestehen. Es geht nur noch darum, welche von den großen Parteien je nach Prozenten wieviel Senatoren stellen wird.

Und 1989? Da hat auch keiner mit dem Durchmarsch von Rot- Grün gerechnet. Laut Demoskopen sind 27 Prozent der Wähler bis zuletzt unentschlossen.

Wir sind da pessimistisch. Wir glauben, daß viele der Unentschlossenen nicht hingehen werden, weil es keinen Grund für sie gibt. Zumindest werden wir als Wähler nicht angesprochen. Das war bei früheren Wahlen anders.

Was war bei der letzten Wahl 1990 denn anders?

Damals war es interessant, weil der Ostteil hinzugekommen war und es wegen der PDS große Unwägbarkeiten gab. Das sehen wir diesmal nicht.

Geht ihr denn wählen?

Ich selbst habe schon Briefwahl gemacht und alle anderen – unsere WG und diverse Freunde, die sonst immer mitgespielt haben – wollen nicht wählen.

Auch nicht die Grünen?

Nein. Die haben sich doch auch auf das langweilige Niveau der großen Parteien hinabbegeben.

Aber um 18.00 Uhr wirst du trotzdem im trauten Kreis vor der Glotze sitzen, oder?

Ich werde nicht vor der Glotze sitzen. Für mich ist dieser Sonntag ein Sonntag wie jeder andere geworden. Das Wahlergebnis erfahre ich wohl erst aus der Tagesschau. Interview: Plutonia Plarre