■ Schreiende Ungerechtigkeit bei Haarschopfpreisen!
: Frauen sind anspruchsvoller

Berlin (taz) – Zehn Mark mehr! Natürlich. Oder acht Mark. Oder sogar 20 Mark! Für Rosi, Babette, Mick oder Jeff und all die anderen ihrer Zunft liegt der Fall klar: Entscheidend für den Preis ist, was sich unterhalb vom Schopf befindet, Frau oder Mann. Mein rappelkurzes dünnes Haar – das, nebenbei bemerkt, sowieso nur mit Farbe und pfundweise Gel (Aufpreis!) sitzt – ist aufwendiger zu schneiden als die beneidenswerten Locken meines nunmehr 60jährigen Freundes Rolf, die nach dem Radikalschnitt immer noch ein gutes Kilo auf die Waage bringen.

Der Mehrpreis, den ich zahle, leuchtet mir ein, jedenfalls nach dem stundenlangen Gespräch mit meiner Babette: Mir ist jetzt ganz klar geworden, daß grundsätzlich schon mal der Anspruch von Männern geringer ist als der von Frauen. Der Mann als solcher hat einfach kein Schönheitsgefühl. Er verschließt sich direkt für seine eigene Schönheit. Meine Babette meint, er habe nicht den eigentlichen Zugang zu seinen weiblichen Anteilen. Deshalb setzt sie auf ein Umerziehungsprogramm. Das soll – so ist die Perspektive – fünf Jahre dauern, bis der Mann an sich seine Schönheit akzeptiert. Und dann soll er auch den emanzipatorischen Preis bezahlen, den wir Frauen – emanzipiert oder nicht – heute schon zahlen.

Nicht daß ich mißtrauisch bin, aber ich wollte doch mal wissen, ob all die anderen Friseure dieser Stadt auch geschlechtsspezifische Preise machen.

Jawohl, machen sie. Männer sind pflegeleichter, und das war schon immer so. Ich weiß jetzt auch, daß sie häufig eine Glatze haben. Muß ich mal drauf achten. Auch die freie Wahl eines Trockenhaarschnitts wird vielfach abgelehnt – aus hygienischen Gründen. Die meisten sind doch Ferkel – ohne jede geschlechtliche Differenz. Nein, doch nicht! In Kreuzberg fand ich einen Salon, in dem sie grundsätzlich den Männern den Kopf waschen. Wir Frauen dürfen trocken bleiben. Na, endlich! Da hat sich jemand über Gerechtigkeit Gedanken gemacht. Nein! Ätsch! Reingefallen. Für den femininen Trockenhaarschnitt zahlst du auch dort drei Mark mehr als für einen gewaschenen und gefönten Männerschopf. Klar! Männer sind eben nie so anspruchsvoll wie unsereins.

Auch die Friseurinnung befand nach ernsthafter Beratung: Bei Frauen ist grundsätzlich der Aufwand größer als bei Männern. Zur Spezifizierung sollte ich mich aber lieber an die Verbraucherzentrale wenden. Hab ich natürlich gleich gemacht. Die nette Frau am Telefon solidarisierte sich auf der Stelle mit meinem Wunsch nach leistungsbezogenen statt geschlechtsbezogenen Preisen. In der Rechtsberatung allerdings mußte ich mich belehren lassen, daß die geschlechtsspezifische Preisgestaltung der Friseure dem Grundsatz der „Privatautonomie“ entspricht und somit nicht „sittenwidrig“ ist. Preise werden „frei vereinbart“, und damit ist die Sache „juristisch einwandfrei“.

Da haben wir's! Ist ja klar. In der freien Marktwirtschaft werden die Preise frei vereinbart. Das war schon immer so. Und das hab ich auch gleich versucht. Aber: Keine Rosi, Babette, Mick oder Jeff wollte mit mir den Preis für meinen Haarschnitt frei vereinbaren. Dafür weiß ich endlich, daß freie Vereinbarung ganz und gar nicht heißt, daß sie mit den KundInnen getroffen wird. Nein, „freie Vereinbarung“ heißt in diesem Fall, daß die Friseure für sich frei vereinbaren, daß die Preise geschlechtsdifferenziert werden. Da hilft auch der Artikel 3 des Grundgesetzes nicht, der, den jede kennt: „Niemand darf wegen seines Geschlechtes usw. benachteiligt oder bevorzugt werden.“ Auch Artikel 6 im Abschnitt II der Grundrechte in der Verfassung Berlins – „Die Frau ist auf allen Gebieten des staatlichen, wirtschaftlichen und sozialen Lebens dem Mann gleichgestellt“ – ist in diesem Fall null und nichtig.

Aber halt! Noch während ich meckere, hat die Morgendämmerung begonnen – nicht in Berlin, sondern westlich davon ... nein, das ist ja die Abenddämmerung – für hoffentlich alle ungleichbehandelnden FriseurInnen hier. Sie heißt „Extra-Schnitt“ und wurde erfunden von einem Mann! – Otmar Schmitt. Er macht gleiche Preise für Frauen und Männer und Kinder. Ihm ist völlig egal, was du für Haare hast: dicke, dünne, kurze, lange, glatte, krause. Er guckt nur auf die Uhr und rechnet im 10-Minuten-Takt aus, was der Spaß kostet. Zwangswäsche gibt's bei ihm nicht. Dafür aber wohltuende Kopf- und Nackenmassagen auf Wunsch und mit Duftölen ... himmlisch ...

Leider zu weit für mich, dieses Lebach mit dem wunderbaren Friseurladen, wo immer das auch ist. Aber – und jetzt kommt die Morgendämmerung – Herr Otmar Schmitt würde sich gern gen Osten wenden und seinen Kolleginnen und Kollegen in unserer schönen Stadt unter die Arme greifen, damit sie auch gleichbehandeln können! Und das mit Ökoshampoo und Duftmassage. Und es rechnet sich, sagt er. Jetzt seid ihr dran, Rosi, Babette, Mick und Jeff! Seid demokratisch, anarchistisch oder wenigstens fortschrittlich, und laßt den Mief eurer Zunft endlich hinter euch! Annefried Hahn