Indianer vs. Krieger

Heute fiebern die USA: Die Baseball-„World Series“ beginnen  ■ Von Andreas Lampert

Baseball im Oktober. Ligaendspiele und World Series. Es ist die Zeit, in der eine ganze Spielzeit sich zu einem pitch, zu einem Schlag, zu einem run verdichtet. Zeit für Legenden, wenn Werfer tonnenschwere Lasten auf ihren Schultern tragen oder Schlagmänner per Keulenschwung die kleine Lederkugel in die, zumindest gedankliche, Unendlichkeit befördern. Ein home run zur entscheidenden Zeit, und du bist auf dem Weg nach Cooperstown im Staate New York, zur hall of fame. Ein Fehlgriff, und du bist für immer gezeichnet. Der durchgerutschte Ball von Bostons first baseman Bill Buckner beispielsweise, der den Sieg für die Red Sox in der 1986er World Series gegen die New York Mets bedeutet hätte, wird jeden Herbst wieder zitiert. Vor zwei Jahren ersteigerte sich Hollywood- Schauspieler und Baseballfan Charlie Sheen jenen ominösen Ball für einige 100.000 Dollar. Den Unterschied zwischen Gewinner und Verlierer klar und deutlich auf dem diamantförmigen Spielfeld herausseziert, das wollen die Amerikaner jeden Herbst sehen. Baseball im Oktober.

Ein Jahr, nachdem der letztjährige Streik der Spieler zum zweiten Mal in der Baseballgeschichte das Zustandekommen der seit 1903 ausgetragenen Endspiele zwischen der American League und der National League, in amerikanischer Bescheidenheit auch World Series genannt, verhinderte (1904 weigerte sich der Sieger der National League, gegen den Vertreter der erst einige Jahre zuvor gegründeten American League anzutreten), hoffen die meisten Baseballfreunde jetzt wieder auf eine Rehabilitation des nationalen Zeitvertreibs. Denn ohne Spuren endete der Streit zwischen Clubbesitzern und Spielergewerkschaft nicht. Zu Anfang der Spielzeit waren die Zuschauerzahlen niedriger und auch die so wichtigen Einschaltquoten im Fernsehen spürbar geringer. Erst gegen Ende der von 162 auf 144 Spiele verkürzten Saison, als die Entscheidungen näherrückten, stieg das Interesse in der Öffentlichkeit. Eine Neuordnung der einzelnen Divisionen und erstmals acht statt nur vier Teams in den Play-offs sorgten für zusätzliche Spannung und erhoffte Einschaltquoten. Nur der Fernsehdeal sorgte für einigen Unmut, denn das von den beiden Fernsehgesellschaften ABC und NBC gegründete Baseball-Network erlaubte nur regionale Ausstrahlung von einzelnen Spielen. Besonders in Ohio ärgerten sich die Fans, denn in diesem Staat qualifizierten sich mit den Cincinatti Reds und den Cleveland Indians gleich zwei Mannschaften, doch nur jeweils ein Team wurde live im Fernsehen gezeigt. Nur wer eine satellitentaugliche Sportbar in seiner Nähe hatte, konnte zufrieden alle Spiele am Bildschirm verfolgen.

Ein wahrer Thriller war die Divisionsserie zwischen den altehrwürdigen New York Yankees, die endlich wieder einmal für postseason qualifiziert waren, und den erst 19 Jahre alten Seattle Mariners, die erstmals in ihrer Vereinsgeschichte die Play-offs erreichten. Fünf erstklassige Spiele, in denen Spieler auf Rasierklingen balancierten und auf den Rängen und vor Bildschirmen hysterisch hyperventiliert wurde. Seattle konnte sich dabei stets auf seinen besten pitcher Randy Johnson verlassen, ein Zwei-Meter-Lulatsch mit klassicher Vokuhila-Frisur, der dank seiner Hebel über einen 100-Meilen-fastball verfügt, der die Yankees zur Verzweiflung brachte und die ganze nordwestliche Region Amerikas, keineswegs klassisches Baseballterritorium, in Baseball- Fieber versetzte. Der Staat Washington hat daraufhin sogar 350 Millionen Dollar für den Bau eines neuen Stadions in Aussicht gestellt, wenn die Mariners ihre stetig wiederkehrenden Abwanderungsgedanken ad acta legen würden.

In der World Series, die am heutigen Samstag beginnt und über maximal sieben Spiele geht, treffen die Cleveland Indians auf die Atlanta Braves. Atlanta setzte sich in der Endspielserie der National League überraschend klar in nur vier Spielen gegen die Cincinatti Reds durch. Letzeres wurde von vielen Baseballfreunden gern gesehen, wird das Team aus Cincinnati doch von der als „Schreckschraube“ verschrieenen Marge Schott mit eisernem Besen geführt, die durch rassistische Äußerungen und allgemeine Baseballunkenntnis schon in manches Fettnäpfchen getreten ist. Leidtragender in dieser Saison ist Reds-Manager Davey Johnson, der trotz Divisionsgewinn und Endspielteilnahme von Schott gefeuert wird, weil er sich erlaubte, mit seiner Freundin in „wilder Ehe“ zu leben.

In den World Series verfügen laut Papier die Braves über die besten Werfer, während die Indians die stärkere Offensive haben (s. Kästen). Leidtragende werden jedoch einmal mehr die amerikanischen Ureinwohner sein. Sowohl die Indians wie die Braves tragen Indianersymbole auf ihren Uniformen und die Fans beider Mannschaften feuern ihre Teams per Schaumstoff-Tomahawks und lautem Kriegsgeheul an. Schon früher Anlaß zu indianischen Protesten.