Praktisch bis aufs Klo

■ "Hier Strauß" und "D.A. Pennebaker meets F.J.S." (Samstag, 22.10 Uhr, BR)

Das Kino wird hundert, die CSU fünfzig. Wer meint, das habe ja nun wirklich nichts miteinander zu tun, wird an diesem Samstag abend eines Besseren belehrt. Wer die CSU mag, kann sich um 21.25 Uhr im bayerischen Dritten angucken, wie sie sich in der Olympiahalle feiert – dort, wo neulich der Henry den Rocky verdroschen hat. Nur ist zu bezweifeln, daß „die Revue einer Partei“ ebenso kurzweilig wird. Wer Kino mag und dabei auch noch einen wunderbaren Blick tief in das bundesrepublikanische Mesolithikum werfen will, der muß erst um 22.10 Uhr einschalten. Da bietet der BR ein cineastisches Politschmankerl, wie es selbst in diesem Jubiläumsjahr nur selten zu sehen war.

„Hier Strauss“ ist ein noch nie gezeigter dreißigminütiger Dokumentarfilm, den der amerikanische Filmemacher D. A. Pennebaker im Jahre 1965 über F. J. Strauß drehte. Schon die Tatsache, daß Pennebaker wenige Tage nach diesem Werk mit den Arbeiten zu seinem Kultfilm „Don't look back“ über Bob Dylans Englandtournee begann, läßt unsereinen historisch erschauern. Daß Pennebaker in den Jahren zuvor so wichtige Leute wie John F. und Robert Kennedy porträtiert hatte, muß aber auch Strauß beeindruckt haben. Als seine Berater über Pennebaker moserten, weil der den CSU- Chef mit der Kamera drei Wochen lang praktisch bis aufs Klo begleitete, soll Strauß gesagt haben: „Wer an Kennedy so gfilmt hat, der derf mi aa so filma.“

Pennebaker beobachtet Strauß in einer CSU-Landesgruppensitzung in Bonn (wo er einem Mini- Dissidenten gehörig den Kopf wäscht) in einer CDU/CSU-Fraktionssitzung und auf verschiedenen Wahlkampfveranstaltungen. Er begleitet ihn zum Burda Bal paré“ in München und in sein Haus in Rott am Inn. Er zeigt ihn in seinem Büro, im Flugzeug, im Auto, beim Telefonieren („Hier Strauß“) bei Beratungen mit Mitarbeitern und seiner Sekretärin. Mal kregel, mal sauer, mal geistreich, mal polternd, mal charmant, mal abgeschlafft. Er zeigt, wie Ehefrau Marianne den müden Krieger wieder hochpäppelt, wie sie ihn politisch berät, ja sogar aufstachelt. Und das – wie immer bei Pennebaker – ohne Kommentar, nur mit O-Ton. Den verstand Pennebaker im übrigen ohnehin kaum.

Das faszinierende dabei ist, daß dennoch ein Bild von Strauß und jener Zeit seines Karriereknicks entsteht, das dichter und eindrücklicher ist als das meiste, was über FJS von Freund und Feind geschrieben wurde.

Dreißig Jahre später war Pennebaker wieder in Deutschland. Sein Film „The War Room“ (über Clintons Wahlkampagne) wurde 1994 auf den Filmfestspielen in Berlin gezeigt. Dort traf ihn ein Spielfilmredakteur des BR, um den „War Room“ anzukaufen. Groß war sein Entzücken, als ihm Pennebaker berichtete, er habe 1965 schon einmal mit dem BR zu tun gehabt. Von „Report München“ habe er damals den Auftrag bekommen, ein 7-Minuten-Porträt über FJS zu machen, das im April 1965 gesendet worden sei. Es gebe aber auch eine Langfassung. Es fügte sich, daß Pennebaker im Sommer 95 einen Film über Marius Müller-Westernhagen in Deutschland drehte. So konnte Angelika Wittlich in Frankfurt mit ihm ein langes Gespräch führen. Daraus entstand der Film „D.A. Pennebaker meets F.J.S.“, der im Anschluß gezeigt wird. Behutsam und neugierig geht Angelika Wittlich dabei dem Phänomen Pennebaker anhand seiner „Beziehungskiste“ mit Strauß (ergänzt durch Ausschnitte aus einigen seiner Filme) nach.

Im Zeitalter der Videokameras, der TV-Rundumbetalkung und der ständigen Konzertmitschnitte wird leicht vergessen, welche Pionierarbeit Leute wie Pennebaker geleistet haben. Und zwar sowohl für den Dokumentarfilm als auch für einen ganz spezifischen Stil der Porträtierung von außergewöhnlichen Menschen, seien sie nun Politiker oder Rockstars. „Es wäre phantastisch“, so der immer noch wie besessen filmende Pennebaker, „Filme über das alltägliche Leben von Lord Byron oder Maria Theresia zu haben. Wir haben keine Vorstellung davon, wie sie wirklich waren.“

Seit Pennebaker Anfang der sechziger Jahre die tragbare Kamera mit Synchronton und Zoom entwickelte und als „living camera“ einsetzte, ist es möglich geworden, diese Alltäglichkeit einzufangen. Pennebaker war der erste, der dies tat, und er ist mit seinen siebzig Jahren wohl immer noch der beste. Viele seiner Arbeiten sind inzwischen gefilmte Geschichte geworden. Seit fast vierzig Jahren und in 120 Filmen hat er mit seinem „cinema directe“ allen möglichen Leuten nachgespürt: Jane Fonda, den Kennedys, Bob Dylan, Jimi Hendrix („Monterey Pop“), David Bowie, Bill Clinton...

Und nicht zuletzt eben auch F.J. Strauß, dem man zumindest zu der Hellsichtigkeit gratulieren muß, damals, 1965, erkannt zu haben, welch einem begnadeten Filmemacher er sich da anvertraute. Pennebaker seinerseits hatte übrigens auch nicht die Schwierigkeiten, die man vielleicht erwartet hätte: „You know what, I kind of liked that guy.“ Da werden sie sich aber freuen, die in der Olympiahalle. Thomas Pampuch