Kosyrew bleibt doch noch ein bißchen

Präsident Jelzin nimmt seine Entlassungsdrohung zurück. Die Probleme „mit der Amtsführung“ des Außenministers ließen sich auch mit einem „guten Stellvertreter“ lösen  ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath

Der Bedarf an Kreml-Astrologen wird wohl in allernächster Zukunft deutlich steigen. Keine andere Berufsgruppe dürfte sich kundig erweisen, in die Abläufe der Entscheidungsfindung hinter den Kremlmauern noch ein Minimum an Transparenz zu bringen. Bleibt Andrej Kosyrew nun Rußlands Außenminister – oder muß er, wie es Präsident Boris Jelzin am Vortag in ungewöhnlich scharfer Form angedeutet hatte, endgültig weichen? Der Ausgang scheint zumindest wieder offen, nachdem Präsident Jelzin vor der Reise nach Frankreich und in die USA seine voraufgegangene Kritik am Außenminister in eine abgeschwächte Form hüllte: Kosyrew brauche einfach einen „guten Stellvertreter“, der sich zu Hause mit dem Papierkram befasse und den Apparat in Ordnung halte. „Aber auch Kosyrew selbst soll nicht schlafen.“ Auf die Frage Kosyrews, ob er noch mit nach Paris reisen solle, habe ihm Jelzin dann geantwortet: „Vorerst fahren, fahren – vorerst.“

Kosyrew, den die Russen den „Jungen aus Guttaperch“ nennen, hat bisher alle Krisen und Anfeindungen überstanden. Sein Spitzname, der sich auf einen dem Kautschuk verwandten Isolierstoff bezieht, belegt eine von Natur gegebene Dehn- und Belastbarkeit, ohne Deformationen des Urzustands hervorzurufen.

Doch wer kann den Worten eines Außenministers noch Glauben schenken, den sein Vorgesetzter in aller Öffentlichkeit wie ein kleines Kind abgekanzelt hat? Auf der internationalen Bühne hat Jelzin seinem Emissionär selbst die Autorität entzogen, um die der Kreml so sehr buhlt. Jelzins Verhalten läßt sich nur dahin deuten, daß seit längerem eine Auswechslung geplant war, bisher aber kein geeigneter Nachfolger gefunden werden konnte. Und der Präsident – seit langem wieder bei Laune und bei Kräften – unternahm auf der Pressekonferenz den zweiten Schritt vor dem ersten, ohne sich über die Konsequenzen im klaren zu sein.

Das Schicksal Kosyrews blieb nicht das einzige Rätsel auf dieser Pressekonferenz. Auch Jelzins Eloge auf seinen ehemaligen Chef des Sicherheitsrates, Jurij Skokow, der eine Allianz mit dem populistischen General Lebed eingegangen ist, verlangt Erläuterung. Lebed ist zur Zeit einer der aussichtsreichsten Präsidentschaftskandidaten und ein entschiedener Widersacher Jelzins. Will der Präsident Lebed via Skokow einbinden?

Nachdenklich stimmten auch Warnungen in Richtung Kommunisten und Nationalisten. Jelzin droht ihnen mit Ausschluß bei nichtrespektablem Verhalten. Ausschluß wovon? Von den Wahlen oder aus dem Parlament? Und wer setzt da die Maßstäbe?

Auch ein neuer Außenminister wird keine andere Politik machen können, solange ein sicherheits- und außenpolitisches Konzept fehlt. Es wird spekuliert, daß der Bruch zwischen dem überloyalen Kosyrew und Jelzin auch persönliche Gründe habe. In einem Gespräch hatte Kosyrew den Einmarsch in Tschetschenien kritisiert, den er offiziell als einer der ersten rechtfertigte. Jelzin soll ihm das übelgenommen haben.

Wenn Kosyrew nun einen Vize- minister erhält, der die häuslichen Angelegenheiten überwacht, so gleicht das einer schleichenden Kaltstellung. Die Tage des „Jungen aus Guttaperch“ sind gezählt.