Mir san die Mehrheit

Die CSU ist die erste multikulturelle Partei Deutschlands. In ihr sind die unterschiedlichsten Persönlichkeiten und Weltanschauungen miteinander vereint. Zum 50jährigen Jubiläum sechs Portraits Von Felix Berth und Bernd Siegler

Josef März kaufte im Lauf seines Lebens zwölf Brauereien in Deutschland, eine in Benin, eine auf den Seychellen und das Gasthaus „Alt-München“ in Togo. Er besaß mehrere hunderttausend Rindviecher und einige gute Freunde. Zwei von ihnen bewirtete er regelmäßig in seinem Landgut Spöck bei Rosenheim. Es waren Franz-Josef Strauß und Alexander Schalck-Golodkowski.

1983 handelten beide in seinem Haus den Milliardenkredit für die damalige DDR aus. In den Jahren danach trafen sie sich regelmäßig bei Josef März zu einem Plauderstündchen. Was der bayerische CSU-Chef dabei verkündete, gab Schalck-Golodkowski als Aktennotiz an Stasi- Chef Erich Mielke weiter. Unter anderem zitierte Strauß aus Lageberichten des Bundesnachrichtendienstes und aus Analysen der CIA – wofür jede Ministeriums-Sekretärin in den Knast gewandert wäre. Josef März hielt sich bei diesen Gesprächen im Hintergrund. Dafür entwickelte er ein erstaunliches Gespür für die Chancen des deutsch-deutschen Handels. So durfte er 1983 mehrere tausend billige Mastbullen aus der DDR importieren – trotz der Fleischüberschüsse der Europäischen Gemeinschaft. Im Einigungsjahr 1990 kaufte März in der Tschechoslowakei 1.800 Tonnen Rinderfilet und lagerte sie kurzfristig in der DDR. Bereits am ersten Juli 1990 wurde daraus automatisch EG-Ware, was dem Mann mit der „Rindvieh-Connection“ (Abendzeitung) etwa 17 Millionen Mark Zoll sparte.

Geschäftsmann und Spezl Josef März starb 1988, kurz vor Franz- Josef Strauß. Dieser kondolierte der Familie und rühmte „Weltoffenheit, Fördergeist und sozialen Sinn“ von Josef März. Die Familie handelte weiterhin in seinem Geiste. Als Alexander Schalck- Golodkowski nach der Wende ein Domizil suchte, gaben ihm die März-Erben unbürokratisch einen Kredit von 420.000 Mark für ein Häuschen am Tegernsee.

Dagmar Wöhrl erblickte am 5. Mai 1954 das Licht der Welt. Das Mädchen mit den blauen Augen, dem wallenden blonden Haar und der attraktiven Figur begann schon mit knapp 16 Jahren, aus ihrem Äußeren Kapital zu schlagen. Sie gewann sechs Schönheitswettbewerbe, ehelichte einen Multimillionär und brachte zwei Kinder zur Welt.

Die Miß Germany des Jahres 1977 schulte um und eröffnete 1987 ihre eigene Rechtsanwaltskanzlei. Sie, die bislang ein Herz für „wehrlose Tiere“ hatte, wollte für die Menschen etwas tun. Da traf es sich gut, daß sich die CSU ihrerseits um die weibliche Wählerklientel sorgte. Die Parteioberen bedrängten geradezu die schöne Millionärsgattin. „Das war sehr clever von der CSU“, sagt Dagmar Wöhrl rückblickend.

1990 zog sie in den Nürnberger Stadtrat ein und holte vier Jahre später das Direktmandat für den Bundestag. Durch inhaltliche Kompetenz machte die Hinterbänklerin bisher zwar nicht auf sich aufmerksam, doch stets umschwirren Boulevard- Reporter die schöne Blonde. Sobald eine Kamera auftaucht, knipst sie ihr Profi-Lächeln an. „Wenn du Sympathie ausstrahlst, bekommst du sie auch zurück“, ist ihre Devise.

Auch CSU- Männern wird bei ihrer Erscheinung warm ums Herz. Bislang waren sie fast nur burschikose, stämmige Spät-Fünfzigerinnen als Mitstreiterinnen gewohnt. Dagmar Wöhrl, die nun auch über die Kasse der Männerpartei wacht, möchte keinesfalls als Emanze gelten. „Ich mag es, wenn mein Mann in mir das Weibchen sieht.“

Nur einmal mußte Dagmar Wöhrl um die Fortsetzung ihrer christlich-sozialen Karriere bangen. Ihr Auftritt als 19jährige in dem Softporno-Streifen „Die Stoßburg“ ließ die wertkonservativen Moralisten in der Partei übel aufstoßen. Doch Parteichef Waigel höchstpersönlich hielt schützend seine Hand über sie. „Ich stehe zu Ihnen“, telegrafierte er eilends.

Alfred Seidl war ein erfolgreicher Boxer, ein versierter Rechtsanwalt, ein unverbesserlicher Nazi und ein Freund des geradlinigen Weges. Zu allen Zeiten setzte er seine „Qualitäten“ effektiv ein, auch als Innenminister des Freistaates.

1934 zog es ihn, gerade 23 Jahre alt geworden, zur Sturmabteilung SA hin, 1937 trat er der NSDAP bei, und im gleichen Jahr geriet seine Doktorarbeit zur Rechtfertigungsschrift des neuen Strafrechts der NSDAP-Regierung. Nach Kriegsende mutierte der Nazi zum Nazi-Verteidiger. Sein flammendes Plädoyer rettete den Hitler- Stellvertreter Rudolf Heß im Nürnberger Prozeß vor dem Galgen. In anderen Verfahren lobte er die Lebensraum-Politik der Nazis und entschuldigte sogar ihre perversen Menschenversuche in den KZs. „Der kleine Seidl ist unbezahlbar“, so lobte Hans Frank, Generalgouverneur im besetzten Polen, seinen Anwalt.

Auch in der CSU war Platz für einen wie ihn. 1958 erschien es noch nicht opportun, ihn ins Kabinett zu holen. Erst 1974 war es soweit. Seidl wurde Justizstaatssekretär und 1977 Innenminister. In seiner eineinhalbjährigen Amtszeit setzte er mit seiner Law-and- order-Politik Maßstäbe für künftige bayerische Innenminister. Er regelte den Schußwaffeneinsatz gegen Demonstranten, stritt für die Wiedereinführung der Todesstrafe und duldete illegale Extratouren des Verfassungsschutzes.

Als Franz-Josef Strauß ihn 1978 nicht mehr berücksichtigte, nahm Seidl verbittert seinen Abschied. Fortan focht er erfolglos für die Freilassung von Heß. Ein Schwächeanfall setzte Ende November 1993 dem Wirken von Seidl ein Ende. Fast, denn nach seinem Tod sorgte er noch einmal für einen Paukenschlag: Der Chef der rechtsextremen Deutschen Volksunion, Gerhard Frey, bedankte sich posthum bei ihm für die „dreieinhalb Jahrzehnte des harmonischen und vielfältigen Zusammenwirkens.“

Alois Hundhammer war klerikal bis ins Mark. Im katholischen Männerverein Tuntenhausen scharte er fromme Politiker um sich, um den Niedergang von Christentum und CSU zu bremsen. Die Prügelstrafe in Schulen war für ihn selbstverständlich, ebenso die strikte Trennung der Schüler in katholische und evangelische Klassen. Hundhammer, erstes von dreizehn Kindern eines Moorbauern, wollte jede Empfängnisverhütung verbieten und erwartete, daß mit der Pille „die Grenze zwischen Gut und Böse überschritten wird.“

Christlicher Glaube war für den im Jahr 1900 geborenen Hundhammer keine private Entscheidung, sondern mußte sichtbar zelebriert werden. So bewies er der Öffentlichkeit gelegentlich, daß er das Ave Maria auf Ungarisch beherrschte, präsentierte sich als „Statthalter des Ritterordens vom Heiligen Grabe“ und küßte allen Päpsten die Hand – mit Ausnahme von Johannes XXIII. Der war ihm zu fortschrittlich.

In den zwanziger Jahren begann er seine Parteikarriere bei der „Bayerischen Volkspartei“, der Weimarer CSU-Vorgängerin. Hundhammer hielt Distanz zu den Nationalsozialisten, weshalb er 1933 für einige Wochen im KZ Dachau landete. Die Nazi-Zeit überstand er als Schuhhändler, den Krieg als Zahlmeister der Wehrmacht. 1945 gründete er mit einigen Genossen die CSU, 1946 wurde er Kultusminister.

Wegen seines christlichen Starrsinns war der „Schwarze Schatten“ in den fünfziger Jahren Hauptgegner der SPD, wegen seiner Sittenstrenge wurde er zum Intimfeind von Franz Josef Strauß. 1957 wurde Hundhammer auf den Posten des Landwirtschaftsministers abgeschoben, den er bis 1969 behalten durfte. 1974 starb Hundhammer, ein „Symbol politischer Starrheit“ (Süddeutsche Zeitung). Sein Sohn Richard saß bis 1986 im Landtag und kämpfte verbissen gegen Kunstwerke von Beuys und gegen Dramen von Hochhuth.

Josef Deimer ist seit einem Vierteljahrhundert Oberbürgermeister von Landshut. Sein bestes Wahlergebnis schaffte er 1980; damals machten 83,5 Prozent der Wähler ihr Kreuz bei seinem Namen. Wer gegen ihn kandidiert, hat keine Chance, und unter den vielen undankbaren Posten, die die bayerische SPD zu vergeben hat, zählt dieser zu den unbeliebtesten.

Deimers Spezialität ist es, seine unangefochtene Position zur Kritik an der eigenen Partei zu nutzen. Atomenergie zum Beispiel hält er für einen gefährlichen Irrweg: „Wir können nicht Tausende von Generationen mit der Bewachung von Plutonium beschäftigen“, sagt der Bürgermeister einer Stadt, in deren Nähe zwei AKWs stehen.

Tiefflüge von Bundeswehrjets nannte Deimer schon „gefährlichen Unsinn“, als die bayerische Staatsregierung noch vom „Geräusch der Freiheit“ sprach. Waigels Sparvorschläge kanzelte er als „völlig unbedarft“ ab, und den bayerischen Umweltminister Goppel hält er für „nicht lernfähig.“ Vor ein paar Wochen schließlich setzte er sich mit gewohnter Deutlichkeit für eine Ökosteuer ein: Ein nationaler Alleingang sei ökologisch notwendig, erklärte Deimer, was die CSU freilich nicht beeindruckte.

Über seine Position in der CSU hat Deimer einmal gesagt, er sei „so unabhängig wie ein Anarchist“. Daß die CSU ihn trotzdem nicht hinauswirft, hängt wohl mit einem Arrangement zusammen. Solange Deimer keinen höheren Posten anpeilt, toleriert die CSU- Spitze seine Querschüsse – wissend, daß gerade diese seine Populärität in Landshut begründen.

Josef Deimer hält sich an die Vereinbarung. Als er in den Achtzigern einmal als Vizeparteichef gehandelt wurde, hatte er „kein Interesse, in den Dunstkreis von Strauß zu treten“. Hätte er es doch versucht, hätte ihn die CSU wie jeden anderen Anarchisten behandelt.

Otto Schedl war dreizehn Jahre lang bayerischer Wirtschaftsminister. In diesen Jahren von 1957 bis 1970 schaffte Bayern den „Großen Sprung nach vorn“. Aus einem zurückgebliebenen Agrarstaat entwickelte sich ein Bundesland mit heute noch profitabler Industrie.

Die „späte Industrialisierung“ erleichterte Schedl die Arbeit erheblich. Denn er mußte sich nicht, wie im Ruhrgebiet, mit alten Zechen und unrentablen Fabriken herumschlagen. Deutlichstes Zeichen für diesen Neubeginn war der Aufbau eines Raffineriezentrums in Ingolstadt.

Schon sechs Wochen nach seinem Amtsantritt hatte Schedl einigen Ölkonzernen ein Konzept dafür vorgelegt – was zunächst aber nur belächelt wurde: Eine Raffinerie in Bayern, das klang wie Bananenzucht in Grönland. Erst als der italienische Energieriese ENI mitmachte, stiegen auch die anderen Konzerne ein.

Billige und sichere Energieversorgung war der zentrale Baustein von Schedls Wirtschaftspolitik. So organisierte er in den sechziger Jahren, als der Antikommunismus in der CSU seinen Höhepunkt erreichte, ganz pragmatisch Erdgaslieferungen aus der Sowjetunion. Osteuropa war für ihn ein Markt, kein Gegner.

Großprojekte aller Art hatten es ihm angetan. Schedl ließ die ersten bayerischen Atomkraftwerke planen, trieb die Pläne für den Rhein-Main- Donau-Kanal voran, beteiligte sich an der Entwicklung des Flughafens im Erdinger Moos und forderte neue Autobahnen.

1970 wurde er Finanzminister, doch schon zwei Jahre später zog er sich überraschend aus der Politik zurück, ohne daß ihn irgendwer in der Partei gedrängt hatte. „Ich will noch etwas vom Leben genießen, ehe ich mir den ersten Herzinfarkt geholt habe“, war seine Begründung. Vor drei Jahren feierte er seinen achtzigsten Geburtstag.