Ende einer belgischen Bilderbuchkarriere

■ Der 56jährige Nato-Generalsekretär hat hart daran gearbeitet, nicht aufzufallen. Die Vergangenheit holte Willy Claes, den Mann mit der Knobelbecherallergie, schließlich ein

Rechnet man die Wochen mit, in denen sich Willy Claes versteckt hielt, dann war der Nato-Generalsekretär genau ein Jahr im Amt. Doch richtig dirigiert hat er den Laden in dieser Zeit kaum, wegen der leidigen Agusta-Affäre war er viel zu sehr damit beschäftigt, nicht aufzufallen. Anfang dieses Jahres, als ihn die belgische Staatsanwaltschaft ins Visier nahm, verschwand er sogar für zwei Monate von der Bildfläche.

Dabei hatte vor einem Jahr alles so vielversprechend ausgesehen: Ein überzeugter Sozi an der Spitze der Nato, ein Diplomat mit Knobelbecherallergie. Nach dem harten Macher Wörner, der immer aussah, als hätte er ein Holzschwert verschluckt, wirkte der zierliche Claes mit seiner leisen Stimme angenehm entspannend.

Doch auch Sozialisten haben eine Vergangenheit. Im Fall von Claes eine verdienstvolle, die ihn bis ganz nach oben brachte, und eine anrüchige, die ihn da oben einholte. Der 56jährige Limburger hat eine belgische Bilderbuchkarriere hinter sich. Nach seinem Politikstudium, das ihm ein sozialistischer Freund finanzierte, wurde er schnell Berufspolitiker, zog mit 30 für die flämischen Sozialisten ins belgische Bundesparlament ein, wurde mit 34 zum erstenmal Wirtschaftsminister und dann immer wieder, bis er 1992 ins Außenamt wechselte. Er wurde bald zu einer der wichtigsten Figuren in der Vierparteienkoalition unter dem christdemokratischen Regierungschef Jean-Luc Dehaene.

Eigentlich sollte Dehaene im letzten Jahr Präsident der Europäischen Kommission werden, was aber am britischen Einspruch scheiterte. Als Entschädigung wurde Belgien drei Monate später, bei der Besetzung des Nato-Chefpostens, berücksichtigt. Weil Dehaene vom EU-Debakel noch beschädigt war, durfte Claes vorrücken. Im Amt hat sich Claes mit eigenen Ideen sehr zurückgehalten und weitgehend gemacht, was die US-Regierung vorschlug, was ihm einige europäische Diplomaten jetzt zu seinem Abschied plötzlich vorwerfen. Er sei eine Marionette Washingtons gewesen, heißt es in Brüssel, ohne daß eine Quelle für diesen Vorwurf auszumachen ist.

Privat zeigt sich Claes gern in der Öffentlichkeit. Ohne Humor, aber mit ausgeprägt demonstrativer Liebe zur Musik, hat er in den vergangenen Jahren sämtliche belgischen Provinzorchester plus die Philharmoniker in Budapest genervt, bis sie ihn jeweils einmal dirigieren ließen. Die Geschichte vom berühmten Hobbymusiker stand dann immer in allen Zeitungen und steht jetzt wieder in allen Porträts, selbst in diesem hier.

Aber kaum jemand erinnert sich so genau, was Claes in seiner Zeit als Wirtschaftsminister gemacht hat, nicht einmal Claes selbst.

Zum Beispiel, daß sich 1988 eine italienische Rüstungsfirma anbot, die sozialistische Parteikasse zu sanieren, wenn sich der Herr Wirtschaftsminister für den Kauf von 46 Hubschraubern einsetzen würde, das hatte er glatt vergessen. Fiel ihm aber wieder ein, als ihn sein damaliger Parteichef öffentlich daran erinnerte. Er hat das Angebot aber damals zurückgewiesen, weshalb es purer Zufall ist, daß sich Claes für die Hubschrauber einsetzte und die italienische Firma die Parteikasse sanierte. Alois Berger