Nato-Chef Claes abgerüstet

■ Seit gestern ist die Nato ohne General: Willy Claes erklärt mit „großem Bedauern“ seinen Rücktritt

Brüssel (taz) – Die 16 Nato-Botschafter ahnten es bereits: Nato-Generalsekretär Willy Claes reichte gestern in Brüssel seinen Rücktritt ein. Er habe die Entscheidung mit „großem Bedauern“ getroffen, sagte Claes bei der anschließenden Pressekonferenz. Er fühle sich „völlig unschuldig“, sein Rücktritt sei „eine Tragödie für mich und meine Familie“.

Am Donnerstag abend hatte das belgische Parlament mit deutlicher Mehrheit dem obersten Gericht die Erlaubnis erteilt, Willy Claes wegen Korruption und Urkundenfälschung anzuklagen. Zuvor hatte Claes in einer zweistündigen dramatischen Rede von „politischem Mord“ gesprochen, der an ihm begangen werde. Es gab keinen Beifall, nur eisiges Schweigen. „Er ging als einsamer Mann“, sagte einer der Abgeordneten. Nach Ermittlungen des Staatsanwaltes soll Claes 1988 als belgischer Wirtschaftsminister Rüstungsaufträge gegen Spenden an seine Partei vergeben haben. Das zu klären ist seit gestern allein Sache der belgischen Justiz.

Nach nur einem Jahr ist die Nato wieder auf der Suche nach einem Generalsekretär. Mitten in den Vorbereitungen zum größten Truppeneinsatz der Allianz in ihrer 46jährigen Geschichte ist ihr der Chef abhanden gekommen. US-Außenminister William Perry versuchte gestern, das Problem herunterzuspielen: Der Rücktritt werde keine Auswirkungen auf die Planungen der Nato für den Friedenseinsatz in Bosnien haben. Man werde rasch einen Nachfolger finden.

Schon vor dem Rücktritt von Claes hatte der dänische Außenminister Niels Helveg Petersen angekündigt, den ehemaligen dänischen Außenminister Uffe Ellemann-Jensen zum Nachfolger vorzuschlagen. Wenige Stunden nach dem Rücktritt meldete Ellemann-Jensen prompt seine Kandidatur für die Claes-Nachfolge an. Der Däne wird bereits so hoch gehandelt, daß man davon ausgehen kann, daß er es nicht wird. Gegen Kandidaten, die zu früh genannt werden, formiert sich erfahrungsgemäß auch der Widerstand rechtzeitig. Vor allem Paris nimmt Ellemann-Jensen die kritische Haltung Dänemarks gegen die französischen Atomtests übel.

Wie schon vor einem Jahr gilt auch der Niederländer Ruud Lubbers wieder als Kandidat erster Wahl. Lubbers hat sich in zwölf Jahren als holländischer Regierungschef nicht nur den Ruf eines starken Politikers erworben, er hat auch Feinde. Helmut Kohl beispielsweise soll ihm bis heute seine ablehnende Haltung gegen die deutsche Vereinigung nicht verziehen haben. Bei der letzten Chefwahl ließen sich die Nato-Regierungen knapp sieben Wochen Zeit, bis sie schließlich Willy Claes auf den Schild hoben. Die niederländische Regierung ließ gestern abend noch wissen, daß der EU-Kommissar Hans van den Broek nicht für den Posten des Generalsekretärs zur Verfügung stehe. Und auch Bonn signalisierte, Volker Rühe bleibe weiterhin Deutschlands Verteidigungsminister und wechsele keinesfalls nach Brüssel. Alois Berger Seite 2