Keine Lehren aus Berlin

■ Bremer SPD guten Mutes in der Großen Koalition - aber mulmig wegen Berlin ist ihnen doch

Ein grausamer Absturz: Die Berliner SPD ist gestern bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus von 30,4 Prozent unter die magische 30-Prozent-Marke gefallen. Nach den letzten Hochrechnungen vor Redaktionsschluß (19 Uhr) lag sie gerade mal bei 23,8 Prozent. Ein vorhersehbares Desaster. Keine Umfrage, die der SPD zugetraut hätte, das ohnehin schon katastrophale Ergebnis der letzten Wahl auch nur zu halten.

Berlin ist nicht Bremen, oder vielleicht doch? Schließlich ist die Mehrheit der Bremer GenossInnen gerade hoffnungsfroh mit der CDU ins Große Koalitionsboot gestiegen, in dem die Berliner SPD schon Jahre mitgerudert hat. Doch eine kleine Umfrage in der Bremer Sozialdemokratie ergibt: Entwarnung, das Desaster an der Spree muß keineswegs zu Unruhe an der Weser führen. Aber mulmig ist den GenossInnen schon.

„Berlin und Bremen – da gibt es feine, aber fundamentale Unterschiede“, sagte gestern Henning Scherf. „Es ist schon schwer, aus einer Großen Koalition heraus Wahlkampf zu führen, aber die wesentliche Differenz ist doch: In Bremen gibt es eine Große Koalition, die von der SPD geführt wird, und nicht von der CDU.“ Und schließlich gebe es in Bremen keine PDS, die 15 Prozent potentieller Stimmen für die SPD abzieht.

Daß der Juniorpartner eher schlechter aus einer Großen Koalition herauskommt, das ist auch für den SPD-Bundestagsabgeordneten Volker Kröning der spielentscheidende Faktor für Berlin. Und der gelte auch für die Bremer SPD, nur eben mit umgekehret Vorzeichen. „Die Erfahrung droht auch ganz klar der Bremer CDU.“ Wobei Kröning auch gleich das Gegenbeispiel für seine These mitliefert. „In Baden Württemberg werden wir erleben, wie die SPD als kleinerer Partner der Großen Koalition auf zentralen Politikfeldern wie Wirtschafts- und Innenpolitik reüssiert hat.“ Aber: Ein Flächenland könne man eben nicht mit einer Stadt vergleichen.

Der Berliner Absturz ist überhaupt kein Grund für Bremer Aufgeregtheiten, meint auch SPD-Fraktionschef Christian Weber. „Das ist kein Ergebnis aufgrund der Großen Koalition. Das sagen die Berliner Genossen unisono.“ So lange die Situation der Bundes-SPD „so ätzend“ ist, so lange müsse man sich nicht über solche Ergebnisse wundern.

„Man kann aktuell keine Schlüsse ziehen. Wir müssen erstmal die nächsten zwei, drei Jahre der Großen Koalition in Bremen abwarten“, beruhigt Wolfgang Grotheer, Unterbezirksvorsitzender aus dem Bremer Osten und Kandidat für den Landesvorsitz. „Aber: Das Ergebnis zeigt, daß es sich besonders lohnt, um das eigene Profil in der Koalition zu kämpfen.“

Vertragstreue zum Koalitionspartner sei eine Sache, „aber die Bremer SPD ist was anderes als die Große Koalition.“ Die besonders sozialdemokratischen Politikfelder nach Grotheer sind die klassischen: „Arbeitsmarkt- und Sozialpolitik.“

So ganz folgenlos ist das Berliner Ergebnis auch nicht für den UB-Nord-Vorsitzenden Detmar Leo, auch wenn für ihn die Koalitionsfrage keine große Rolle spielt. „Wir müssen uns gerade in den Stadtstaaten und Großstädten gewaltig auf den Hosenboden setzen.“

Die alten Positionen tragen nicht mehr, sagt Leo, „und bei den neuen wissen wir noch nicht so genau. Wollen wir nur eine retardierte Partei sein oder eine Modernisierungspartei, die zum Beispiel in der Verkehrspolitik neue Wege geht? Das sind doch die Fragen.“ J.G.