Kriegstreiber und Pazifisten streiten in publizistischen Nischen

■ Mit reichlich Verspätung befaßt sich die Linke in den USA mit der Frage einer Intervention in Bosnien

Washington (taz) – Es hatte die Redaktion der Zeitschrift The Progressive einige Überlegung gekostet, bis sie sich zu dieser Provokation ihrer Leser entschloß. Gleich zwei „Kriegstreiber“ ließ man in der Septemberausgabe zu Wort kommen: Michael Klare und Mary Kaldor – beide Friedens- und Konfliktforscher und ausgewiesene Kritiker des militärisch-industriellen Komplexes – durften darlegen, warum eine multinationale Militärintervention in Bosnien-Herzegowina notwendig sei. Das war starker Tobak für die Leser einer Zeitschrift, die sich bislang als durch und durch pazifistisch verstand.

Entsprechend harsch waren die Reaktionen: „Platzverschwendung“, schimpfte ein Leser, während ein anderer Kaldor und Klare als Vertreter einer neuen schizophrenen Intellektuellen-Generation von innenpolitischen Liberalen und außenpolitischen Falken ausmachte. Und Chefredakteur Matthew Rothschild erklärte in einem Leitartikel jede Form von militärischer Intervention zu einer Verlängerung des Teufelskreises der Gewalt. „So lange die USA weiterhin die ganze Welt aufrüsten, wird die US-Armee immer wieder gerufen werden, um in Konflikte einzugreifen, die die Streitparteien mit Waffen made in the USA austragen“, hieß es in dem Text. Auf Nachfrage sprach sich Rothschild auch ausdrücklich gegen die Entsendung von US-Soldaten als Teil einer Nato-Operation zur Durchsetzung eines Friedensabkommens in Bosnien-Herzegowina aus. „Die USA sollen überhaupt keine militärischen Schritte mehr ergreifen. Im übrigen bin ich gegen die Nato.“

Daß die militärische Absicherung eines Friedensabkommens in Bosnien nach dem totalen Autoritätsverlust der UNO nun der Nato obliegen soll, widerstrebt auch Michael Klare. „Doch wenn 25.000 US-Soldaten in diesem Rahmen zur Friedenssicherung beitragen können, dann habe ich mit dieser Militärpräsenz keine Probleme.“

Nun interessieren sich in den USA relativ wenige für die Suche der politischen Linken nach einem neuen Koordinatensystem im Zeitalter der „Neuen Weltunordnung“. Ein Forum dafür besteht nur aus publizistischen Nischen, die Monats-und Wochenzeitschriften wie The Nation,In These Times oder The Progressive ausfüllen. Selbst dort ist die Diskussion spät in Gang gekommen. Wie die US- Sicherheitspolitik in Zukunft aussehen, wie man den Begriff der „humanitären Intervention“ definieren oder sich angesichts „ethnischer Säuberungen“ in Bosnien und des Genozids in Ruanda verhalten soll – all das seien Fragen, sagt Klare, „um die man sich bislang herumgedrückt hat“.

Im Rahmen dieser sporadischen Diskussion haben sich auf Seiten der Interventionsgegner drei Positionen herauskristallisiert: Eine radikal-pazifistische, die die Anwendung militärischer Gewalt strikt ablehnt; eine traditionell US-kritische, die den Einsatz US-amerikanischer Truppen in Bosnien wie schon die Intervention in Haiti als weitere Glieder in einer Kette imperialistischer Politik sieht; sowie eine tendenziell antibosnische, die den Konflikt als „Bürgerkrieg“ einstuft, in dem drei gleichermaßen skrupellose Konfliktparteien gegeneinander kämpfen – eine Haltung, die auch konservative Interventionsgegner vertreten.

Für Mary Kaldor, Dozentin an der britischen „Univerity of Sussex“ und als Aktivistin in der „Helsinki Citizens Assembly“ in Bosnien engagiert, findet da eine fatale Vermengung von „Neutralität“ und „Unparteilichkeit“ statt. „Neutralität heißt, man bezieht keine Stellung. Unparteilichkeit heißt, man hält internationale Prinzipien in unparteiischer Weise aufrecht.

Das kann, wie in Bosnien, bedeuten, daß man der einen Seite näher steht, weil die andere mehr Schuld auf sich geladen hat.“

Täter- und Opferstatus zu definieren ist ein zentraler Teil des Streits zwischen Interventionsgegnern und -befürwortern. Anläßlich der Nato-Bombenangriffe auf serbische Stellungen im September veröffentlichte The Nation als Leitartikel einen Bericht des New- York-Times-Journalisten David Binder. Darin stellt er erneut die These auf, die bosnische Armee habe die „Marktplatzmassaker“ in Sarajevo am 5. Februar 1994 und am 28. August diesen Jahres selbst ausgeführt, um UNO und Nato zu Luftangriffen gegen serbische Stellungen zu veranlassen.

Binder wendet sich, ähnlich wie der dem „Serbian Unity Congress“, einer Vereinigung nationalistischer Serben in den USA, nahestehende Journalist Peter Brock, gegen die angeblich antiserbische Berichterstattung in den USA. Er veröffentlichte in der Schweizer Weltwoche verständnisheischende Beiträge für die Karadžić-Serben und den inzwischen als Kriegsverbrecher angeklagten Ratko Mladić.

In einem „Bosnien-Forum“ in der jüngsten Ausgabe von Covert Action, einem linken US-Magazin mit investigativem Anspruch, erklärt die Autorin Joan Phillips die westliche Berichterstattung über den Bosnienkrieg zur „diffamierendsten Kampagne im Zeitalter moderner Medien, in der die Serben als Tiere, Barbaren, Vergewaltiger, Psychopathen, Kommunisten, Faschisten und Nazis“ verteufelt worden seien. Die Dichotomie der „good and bad boys“ sei ein Manöver, um militärische Interventionen zu legitimieren.

„Die lautesten Gegner einer Intervention sind meistens die größten Ignoranten“, meint dagegen Michael Klare, der sich für die Einrichtung einer festen UN-Truppe zum Schutz der Zivilbevölkerung im Fall eines Genozids oder „ethnischer Säuberungen“ ausspricht. Das Argument der Gewaltfreiheit der Pazifisten nehme er zwar ernst. „Doch auch von denen konnte mir noch keiner die Frage beantworten, was zu tun ist, wenn vor unseren Augen Verbrechen gegen die Menschheit begangen werden.“

Auch Matthew Rothschild, Chefredakteur des Progressive gerät da in argumentativen Notstand. Eine Intervention zum Schutz der Zivilbevölkerung hätte er noch nicht einmal im Fall Ruandas gutgeheißen. „Töten mit militärischen Mitteln zu stoppen, ist einfach falsch.“ Aber, fügte er hinzu, „wir sind auch dagegen, daß Ruander Ruander töten“. Andrea Böhm