Erinnerungen an Vietnam und den Libanon

Zehn Tage, bevor sich in den USA die Regierungen Bosniens, Kroatiens und Serbiens zu Friedensgesprächen treffen sollen, streiten US-Regierung und Legislative heftig über den Einsatz von US-Soldaten auf dem Balkan  ■ Aus Washington Andrea Böhm

Die Verhandlungen werden zäh und nervenaufreibend sein, die Umgebung ist eher eintönig, das Freizeitangebot begrenzt. Den Präsidenten Bosniens, Serbiens und Kroatiens, die am 31. Oktober auf der Wright-Patterson Air Force Base in Dayton, Ohio, soll es nicht besser gehen als den Geschworenen des Simpson-Prozesses – zumindest nicht viel besser. Der Militärstützpunkt wurde nach Angaben aus dem US-Außenministerium ausgewählt, weil dort die Presse am einfachsten ausgesperrt werden kann – und den Konfliktparteien somit die Chance genommen wird, PR-Arbeit vor laufenden Kameras zu machen.

Vor allem der serbische Präsident Slobodan Milošević hat so weniger Gelegenheit für Medienauftritte. Dessen Mutation vom Kriegstreiber und Drahtzieher „ethnischer Säuberungen“ zum Staatsmann und Koarchitekten eines Friedensabkommens dürfte der US-amerikanischen Öffentlichkeit nur schwer zu verkaufen sein. Um so mehr, als die US-Friedenspolitik für Bosnien zunehmend in den Geruch der Komplizenschaft gerät, je mehr sich die Berichte über anhaltende Massaker serbischer Milizen an muslimischen und kroatischen Männern in der Region Banja Luka häufen.

Die New York Times zitierte am Freitag westliche Diplomaten, nach deren Informationen Tausende muslimischer Männer in der letzten Woche in Nordwestbosnien ermordet worden sind. Die Opfer seien größtenteils Zwangsarbeiter im wehrfähigen Alter, die in den Augen der Serben nach einem Friedensabkommen die bosnische Armee verstärken würden. Die Massenexekutionen, so stehe zu befürchten, würden fortgesetzt – von paramilitärischen Gruppen mit engen Verbindungen nach Belgrad. „Das ist ein Mordsystem vom Ausmaß Srebrenicas.“

Bislang verweigert die US-Regierung jede Auskunft, ob auch in diesem Falle Fotos aus Aufklärungsflugzeugen vorliegen. Sollten solche in den nächsten Tagen auftauchen und die Zeitungsberichte untermauern, dürfte der Verhandlungsfahrplan der Clinton-Regierung und die Zukunft der „Wright- Patterson Air Force Base“ als Hort der Friedensverhandlungen höchst ungewiß sein. Schon jetzt fordert Robert Dole, der Mehrheitsführer der Republikaner im Senat und Bewerber um die Präsidentschaftskandidatur, Slobodan Milošević kein Einreisevisum zu geben.

Einer der ersten, der diesen zentralen Aspekt US-amerikanischer Realpolitik in Bosnien kritisiert hat, war der Psychiater Robert Jay Lifton, Autor mehrerer Bücher über die psychische und politische Auseinandersetzung mit Völkermord und Kriegsverbrechen. „Das Image von Milošević neu zu erfinden, wird einen fürcherlichen Preis haben und den Friedensprozeß beeinträchtigen, weil ihm niemand trauen kann – am wenigsten sein eigenes Volk.“ Dem entgegnete der US-Chef-Unterhändler für Bosnien, Richard Holbrooke, in der New York Times: „Wir haben diese Leute nicht geschaffen. Die haben sich selbst geschaffen und aus einem einst fragilen, aber friedlichen Land eine Hölle gemacht. Unsere Rolle besteht darin, sie zum Frieden zu ermutigen.“ Daß zu dieser „Ermutigung“ auch die stillschweigende Duldung von Massakern und Vertreibungen serbischer Zivilisten durch die kroatische Armee in der Krajina gehörten, ist vorläufig kein Thema.

Tatsächlich ist die US-Debatte um Bosnien bestimmt vom Streit zwischen Regierung und Parlament um die Teilnahme von US- Einheiten an der Nato-Friedenstruppe. 25.000 US-Soldaten hatte Präsident Clinton den westlichen Verbündeten zur Sicherung eines Friedensabkommens in Bosnien versprochen. Zwei Tage lang versuchten letzte Woche Außenminister Warren Christopher, Verteidigungsminister William Perry und der Vorsitzende des Generalstabes, John Shalikashvili, die höchst mißtrauischen Senatoren des Streitkräfte- und Außenpolitikausschusses im Senat von der Stringenz der Bosnienpolitik ihres Präsidenten zu überzeugen – ohne Erfolg.

Im Gegenteil: Republikaner wie Demokraten reagierten verwirrt bis empört. Christophers und Perrys Hinweise auf Bündnisverpflichtungen und eine wiedererstarkte Führungsposition und -verantwortung innerhalb der Nato beeindruckten nicht besonders. Die bislang vage Missionsbeschreibung der Nato-Friedenstruppe kombiniert mit dem US-amerikanischen Plan, die bosnische Armee zu einem ebenbürtigen Gegner des serbischen Militärs aufzurüsten, ließen bei so manchen Senatoren Erinnerungen an Vietnam und den Libanon wach werden. Dort trainierten die USA Anfang der achtziger die libanesische Armee, bis eine Autobombe 241 US-Marines tötete und die Operation in einem Desaster enden ließ.

Auch das Versprechen Perrys, daß alle US-Soldaten nach maximal zwölf Monaten wieder zu Hause wären, beruhigte niemanden im Kongreß. Der Zeitplan – ganz offenichtlich an das Datum der Präsidentschaftswahlen im November 1996 gekoppelt – wurde vielmehr als willkürlich kritisiert.

Der Hauptkonflikt zwischen Legislative und Exikutive dreht sich um die Frage, ob und in welcher Form US-Präsident Bill Clinton auf die Zustimmung des Kongresses zur Entsendung von Truppen angewiesen ist. Zwar ist der Präsident als Oberbefehlshaber der Streitkräfte befugt, Truppen zu entsenden. Doch das Parlament hat die Möglichkeit, ihm für militärische Operationen den Geldhahn abzudrehen – was mehrere republikanische Senatoren bereits angedroht haben.

Clinton selbst, der bislang noch keine öffentliche Rede zum Thema Bosnien gehalten hat, erklärte am Donnerstag, daß er sich an ein parlamentarisches Votum gegen den Truppeneinsatz nicht gebunden fühle. Einen Tag später gab er sich im Angesicht massiven Protestes aus beiden Parteien sehr viel konzilianter. Er kündigte an, den Kongreß um eine Resolution zu ersuchen, in der das Parlament seine Unterstützung für die Truppenentsendung zum Ausdruck bringen möge.

Zumindest nach außen hin zeigt sich Clinton weiterhin überzeugt, daß „der Kongreß am Ende diese Operation unterstützen wird“. Anders sah das ein Senator aus seiner eigenen Partei. „Es ist überhaupt noch nicht klar“, erklärte der dem linken Flügel der Demokraten angehörende Senator Carl Levin, daß eine Peace-keeping-Operation in Bosnien „mit unserer Beteiligung stattfindet“.