Gifteinsatz in Asylheimen

■ In bayerischen Flüchtlingsheimen wurden die Grenzwerte für das giftige Lindan bis zu zweihundertmal überschritten. Die Behörden reagierten erst nach Monaten

Nürnberg (taz) – Das Bayreuther Opernhaus und die bayerischen Forsthäuser haben mit mindestens vierzig Flüchtlingsheimen im Freistaat eines gemein: Sie sind mit den Schädlingsbekämpfungsmitteln Lindan und Pentachlorphenol (PCP) kontaminiert. Doch während der Musentempel in der oberfränkischen Wagnerstadt und zahlreiche Unterkünfte der weißblauen Waldpfleger sofort geschlossen wurden, wiegelten die zuständigen Behörden in der Frage der Verseuchung der Asylbewerberheime monatelang ab.

Lange sah Bayerns Sozialstaatssekretär Gerhard Merkl eine „konkrete Gesundheitsgefahr“ dort als nicht gegeben an. Jetzt sollen die verseuchten Unterkünfte saniert werden. Die Staatsregierung hat auf ihrer letzten Kabinettssitzung beschlossen, „künftig in allen staatlichen Gebäuden auf den Einsatz lindanhaltiger Mittel zu verzichten“.

Im Herbst 1994 beauftragte die Regierung von Oberbayern eine Münchner Firma mit der Schädlingsbekämpfung in den staatlichen Unterkünften für Asylbewerber. Dabei wurde das Insektenvernichtungsmittel „Insektinil N-HS forte“ verwendet. Es enthält Lindan, ein Gift, das Leberschädigungen, Störungen des Immunsystems und Blutbildveränderungen zur Folge hat. SozialarbeiterInnen aus Münchner Heimen berichten, daß das Gift „über schlafende Menschen und offene Lebensmittel versprüht“ wurde. Unmittelbar nach dem Einsatz hätten sich Kleinkinder und stillende Mütter wieder in den Räumen aufgehalten. Erste Meßergebnisse in Münchner Heimen ergaben im November, daß der Lindangehalt im Staub um den Faktor 1.000 höher liegt als im unbelasteten Fall. Die zuständige Sozialministerin Barbara Stamm wiegelte erst einmal ab. Diese hohen Werte ließen „keinen Rückschluß auf die Belastung der Bewohner“ zu. Eine Untersuchung des ganzen Ausmaßes verhinderte die CSU-Mehrheit im Landtag. Sie lehnte den Antrag der Grünen ab, flächendeckend zu überpüfen, wo Insektinil zum Einsatz gekommen ist.

Auch neue Ergebnisse des bayerischen Landesgewerbeamtes, die eine bis zu 200fache Überschreitung der Grenzwerte ergaben, beeindruckten die Ministerin nicht. Stamm verweigerte eine „Erfassung und namentliche Aufführung sämtlicher öffentlicher Gebäude wegen des damit verbundenen unangemessenen Verwaltungsaufwandes“. Ihr Staatssekretär Merkl hat zwar inzwischen „einige Hinweise“, daß in Kindergärten und Krankenhäusern entsprechende Mittel eingesetzt wurden, will aber nur bestätigen, daß in 40 Asylunterkünften in München und in Franken lindanhaltige Mittel verwendet wurden.

Eine Notwendigkeit, die Informationen auch an andere Bezirke weiterzugeben, sah man zur Jahreswende weder bei der Regierung von Oberbayern noch beim Sozialministerium. So machten sich mindestens bis zum Juni des Jahres die Hausmeister in den Flüchtlingsheimen in Nürnberg und Fürth mehrmals in Monat mit Insektinil auf die Jagd nach Ungeziefer. „Wir dachten, daß das Problem auf den südbayerischen Raum begrenzt ist“, erklärt Anton Haußmann, Sprecher im Sozialministerium.

Der Nürnberger Ausländerbeirat fordert nun die vorübergehende Räumung der kontaminierten Unterkünfte und verweist auf die sofortige Schließung der Bayreuther Oper. „In unserem Fall handelt es sich nicht um Besucher, sondern um Menschen, die sich Tag und Nacht in den Räumen aufhalten müssen.“

Nachdem auch aus CSU-Kreisen Kritik am Einsatz von Insektinil laut wurde und SPD und Bündnis 90/Die Grünen der Staatsregierung „Körperverletzung im Amt“ vorwarfen, traten Staats- und Bezirksregierung die Flucht nach vorne an. Staatssekretär Merkl kündigte eine Sanierung der betroffenen Gebäude an, und die Regierung von Oberbayern bereitet derzeit eine Schadensersatzklage gegen die Reinigungsfirma vor. Bernd Siegler