Mehrheit für „Weiter so!“

■ Nach dem Absturz muß die SPD sich neu organisieren

Geschichte wiederholt sich nicht – auch nicht als Farce. Eberhard Diepgens CDU, seit 1989 mit dem Trauma einer unverhofften Niederlage belastet, bleibt in Berlin stärkste Partei. Unerwartet kommt das nicht, auch wenn ein großer Teil der Berliner bis zum Schluß unentschlossen war. Die großen Gewinner sind die PDS und vor allem Bündnis 90/Die Grünen. Mit ihrem besten Ergebnis können sich die Bündnisgrünen jetzt als stadtweite Kraft präsentieren – auch wenn sie weiterhin in der Opposition bleiben werden.

Der Absturz der SPD auf das schlechteste Ergebnis ist einerseits die Quittung für die Führungskrise der Bundes-SPD. Zu spät kam offenbar die Wahl des neuen Bundesgeschäftsführers Müntefering, um den bedrängten Berliner Genossen noch auf die Füße zu helfen. Doch das Problem ist auch hausgemacht. Die SPD-Spitzenkandidatin Ingrid Stahmer konnte nicht überzeugend darlegen, daß sie mehr ist als eine gute Sozialsenatorin. Die vielschichtige Kompetenz, die industrielle Struktur der Stadt umzubauen, ein neues Verkehrsnetz auf den Weg zu bringen, die soziale Angleichung der geteilten Stadt zu bewältigen oder mit dem kompletten Neubau der Stadtmitte klarzukommen, trauen die Wählerinnen nicht ihr, sondern Eberhard Diepgen zu.

Nicht aufgegangen ist auch das Kalkül der Herausforderin, vor dem Wahltag keine Koalitionsaussage zu machen. Stahmer wollte damit in der CDU- Wähler-Klientel fischen, die von der Aussicht auf Rot-Grün abgeschreckt würde. Die SPD vergab damit freilich die Chance, eine klare Alternative für die Stadt aufzuzeigen. Wie man klar positioniert punktet, das zeigten die Grünen.

Nach dem Katzenjammer des Wahlabends kommen auf die SPD nun harte Auseinandersetzungen über den weiteren Weg zu. Politische Sandkastenspiele, doch noch eine Mehrheit gegen die CDU zusammenzubekommen – beispielsweise mit der PDS –, wird es nicht geben. Nicht wenige Funktionäre werden ungeachtet des Wahlergebnisses wieder in die Große Koalition drängen. Andere fürchten, in vier weiteren Jahren mit der CDU werde die SPD gänzlich aufgerieben. Sie werden die Tolerierung eines CDU-Minderheitssenats und den Gang auf die Oppositionsbänke befürworten, um die Partei neu zu organisieren. Angesichts der jetzt bevorstehenden Zerreißprobe wird das weitere Schicksal der unterlegenen Sozialsenatorin Ingrid Stahmer fast ein Randproblem. Gerd Nowakowski