Gesunden in der Opposition

■ Nach dem Absturz muß die SPD sich neu organisieren

Geschichte wiederholt sich nicht – auch nicht als Farce. Eberhard Diepgens CDU, seit 1989 mit dem Trauma einer unverhofften Niederlage belastet, bleibt in Berlin stärkste Partei. Dennoch ist das Ergebnis eine deutliche Absage an die Große Koalition, die insgesamt über zehn Prozent verloren hat. Für die SPD gab es das schlechteste Ergebnis der Nachkriegsgeschichte. Die großen Gewinner PDS und Bündnis90/ Grüne profitierten klar von der Unzufriedenheit mit der Großen Koalition. Der Wahlerfolg der PDS im Osten zeigt zudem, wie tief gespalten die Stadt weiterhin ist.

Der Absturz der SPD ist einerseits die Quittung für die Führungskrise der Bundes-SPD. Zu spät kam die Wahl des neuen Bundesgeschäftsführers Müntefering, um den bedrängten Berliner Genossen noch auf die Füße zu helfen. Doch das Problem ist auch hausgemacht. Die SPD-Spitzenkandidatin Ingrid Stahmer konnte nicht überzeugend darlegen, daß sie mehr ist als eine gute Sozialsenatorin. Die vielschichtige Kompetenz, die industrielle Struktur der Stadt umzubauen, ein neues Verkehrsnetz auf den Weg zu bringen, die soziale Angleichung der geteilten Stadt zu bewältigen oder mit dem kompletten Neubau der Stadtmitte klarzukommen, trauen die Wählerinnen nicht ihr, sondern Eberhard Diepgen zu.

Nicht aufgegangen ist das Kalkül der Herausforderin, vor dem Wahltag keine Koalitionsaussage zu machen. Stahmer wollte damit in der CDU- Wählerklientel fischen, die von der Aussicht auf Rot-Grün abgeschreckt würde. Die SPD wurde damit noch konturenloser. Wie man klar positioniert für Rot-Grün punktet, das zeigten die Grünen.

Auf die SPD kommen harte Auseinandersetzungen zu. Politische Sandkastenspiele, mit der PDS und den Grünen eine rechnerische Mehrheit gegen die CDU zusammenzubringen, wird es nicht geben. Nicht wenige Funktionäre werden ungeachtet des Wahlergebnisses wieder in die Große Koalition mit ihren Senatorenämtern drängen. Doch um eine radikale Neubesinnung wird die SPD nicht herumkommen. Zu groß ist die Gefahr, daß die SPD in vier weiteren Jahren mit der CDU gänzlich aufgerieben wird.

Ein Weg ist die Tolerierung eines CDU-Minderheitssenats und der Gang auf die Oppositionsbänke, um die Partei neu zu organisieren. Angesichts der jetzt bevorstehenden Zerreißprobe wird das weitere Schicksal der unterlegenen Sozialsenatorin Ingrid Stahmer fast ein Randproblem. Gerd Nowakowski