■ Grün statt Diepgen
: Jetzt oder nie!

Es ist nicht mehr zu übersehen. Fünf Jahre Große Koalition haben die Sozialdemokraten auf den Hund gebracht. Als besserer Teil des Regierungsbündnisses wollte Ingrid Stahmer die Wahlen gewinnen und für die Sozialdemokraten den politischen Führungsanspruch in der Stadt zurückgewinnen. Sie ist damit gnadenlos eingebrochen. Für die Bündnisgrünen ist die Rolle des Juniorpartners in einem rot-grünen Senat damit von der strategischen Option zur strategischen Falle geworden. Mit dieser Hauptstadt-SPD ist der Wechsel jetzt und auch auf absehbare Zeit nicht zu machen. Den Bündnisgrünen bleibt in dieser Situation gar nichts anders übrig, als aus dem Schatten der SPD herauszutreten und ihr eigenes Profil zu schärfen. Wenn die Grünen ihren Anspruch auf die Meinungsführerschaft in der Opposition ernst meinen, bleibt ihnen – so paradox es klingen mag – keine andere Wahl, als mit einer eigenen Kandidatin zur Wahl des Regierenden Bürgermeisters anzutreten.

Wer wie Christian Ströbele die politische Auseinandersetzung mit der PDS als stärkster Kraft in Ostberlin fordert, darf vor Volksfrontkampagnen wegen möglicher PDS-Stimmen für eine grüne Kandidatin keine Angst haben. Mit einem solchen Schritt würden die Bündnisgrünen der PDS schließlich ihren Alleinvertretungsanspruch auf Opposition streitig machen und dort das labile Verhältnis zwischen Reformern und Traditionalisten unter Druck setzen. Zuletzt würden auch diejenigen in der SPD, die jetzt wortreich den Verlust ihrer politischen Identität in der Großen Koalition beklagen, gezwungen, rot-grüne Farbe zu bekennen. Christoph Seils