Der Mann hinter Berlusconi

Der italienische Fernsehjournalist Giuliano Ferrara bestimmt Denken und Handeln des Medienzaren und Politikers mehr als jeder andere  ■ Aus Rom Werner Raith

Rom, Via dell' Anima, eine Gasse hinter der Piazza Navona, fünf Uhr nachmittags: Ein halbes Dutzend Polizeieskorten parkt entlang der Straße, dazwischen gepanzerte Alfa-Romeo-Limousinen. Hier liegt das Hauptquartier des Silvio Berlusconi, Dreh- und Angelpunkt seiner Bewegung „Forza Italia“ und – seit der Mann aus Mailand Ministerpräsident war – auch zahlreicher entscheidender Treffen des Megakonzerns Fininvest, der unter anderem Berlusconis Fernsehsender und Verlage koordiniert. Wer auf sich hält, kommt mit der Staatskarosse oder dem „Autoblu“, wie die Sonderfahrzeuge heißen.

Nur einer nicht. Der kommt zu Fuß, in einer Art Dreivierteltakt, weil er meist einen Spazierstock mitführt. Wenn er geht, hört man ihn schon auf hundert Meter Entfernung – fast drei Zentner auf einsneunzig Größe, und sein Auftritt sichert ihm auch bei seinen Gegnern volle Aufmerksamkeit. Giuliano Ferrara, 50, Fernsehjournalist, gehört zu den Leuten, die weder Klingel noch Visitenkarten brauchen. Notfalls droht der Mann, der einerseits als filigraner Vordenker Berlusconis gilt, andererseits wie ein Wrestlingstar einzuschüchtern vermag, schon mal mit Tätlichkeiten, wenn Dinge nicht so laufen, wie er will.

Aus großbürgerlichem Hause, begann Ferrara, wie sich das gehört, ganz weit links, beim stalinistischen Flügel der KPI. Danach wurde er strammer 68er, wanderte aber bald zur KP-Zentrale Berlinguers ab, weil er da Aufstiegschancen witterte. Die kamen aber nicht, weshalb er behende zu den Sozialisten wechselte, wo gerade ein neuer Star geboren war: Bettino Craxi. Dessen Sprachrohr wurde er in kürzester Zeit, wuchtete sein Gewicht in das staatliche Fernsehen ebenso wie in das Privat-TV des Craxi-Freundes Berlusconi. Bald schon gehörte er zu jenen, die zu allem und jedem ihren Senf dazugeben. Mehrere Talkshows, Politmagazine und eine tägliche Kommentarsendung namens „Radio Londra“ sorgten dafür, daß die Nation ihren täglichen Ferrara und damit auch Craxis Diktate serviert bekamen. Meist schwitzend, zottelmähnig, mit Hosenträgern über herausquellendem Bauch, verkündete er letzte Wahrheiten. Oder er setzte sich in Veranstaltungen, wo er dann kaum mehr jemanden zu Wort kommen ließ.

Allerdings mußte er dabei auch Niederlagen einstecken. Als ihn der Espresso-Kollege Gianpaolo Pansa in einer Sendung von RAI TRE als einen hinstellte, der „zwar immer gegen Korruption schreit, doch seinen Wahlkampf fürs Europaparlament genau mit jenen Schmiergeldern bezahlte, die die Sozialisten in Milliardenhöhe erpreßten“, drohte Ferrara eine Schlägerei an. Die versprochene Klage zog er aber zurück.

Als Craxi fiel, war Ferrara bereits wieder woanders gelandet: bei Berlusconi persönlich. Der machte ihn zum Minister für die Beziehungen zum Parlament und wenig später auch noch zum Sprecher des Ministerrates. Wonach kein anderer Ressortchef mehr den Mund aufmachen durfte, ohne daß Ferrara es erlaubte. Eine Reihe Mißerfolge geht zweifellos auf sein Konto: das Dekret zur Entlassung Korrupter aus dem Gefängnis ebenso wie der Frontalzusammenstoß mit den Gewerkschaften, der Berlusconi schließlich sein Amt kostete.

Doch der Medienherrscher kann nicht mehr von seinem Wadenbeißer lassen. Nahezu alle Entscheidungen – ob Berlusconis Forza Italia für oder gegen das Haushaltsgesetz stimmt, ob man das neue Fernsehgesetz annimmt oder nicht, ob man die Rentenregelung akzeptieren kann oder nicht – dekretiert Ferrara, als sei er Herr im Haus. Und oftmals haben die Mitarbeiter Berlusconis den Eindruck, ihr Chef kusche vor dem aufbrausenden Ferrara.

Dabei ist er in letzter Zeit auffallend selten im Fernsehen zu sehen. Umso mehr reist er, und mancher setzt bereits das Gerücht in Umlauf, der Dicke mit der unvermeidlichen Zigarre im Mund sei ab und an auch nach Tunesien gejettet, wohin sein Ex-Chef Craxi vor den Strafverfolgern ausgebüchst ist und mit seinen Hunderten auf die Seite gebrachter Dollarmillionen weiter Intrigen gegen sein Land spinnt. Giuliano Ferrara scheint inzwischen fast mächtiger als der Fernseh-Tycoon aus Mailand. Doch viele Italiener fragen sich, ob der Mächtige hinter Berlusconi nicht einem noch Mächtigeren Rechenschaft schuldet.