Die Schlacht am Lerchenfeld

■ Ein Buch thematisiert „Macht und Geschlecht in Organisationen“ am Beispiel des Konflikts um die Hamburger Kunsthochschulpräsidentin Adrienne Goehler

„Noch ist die Dame nicht fürs Feuer.“ So beginnt ein FAZ-Bericht über den Konflikt um die Präsidentin der Hamburger Kunsthochschule, Adrienne Goehler. Die verstümmelte Grammatik ist verräterisch. Leider ist die Dame noch nicht reif fürs Feuer, hätte es wohl heißen sollen.

Mit diesem FAZ-Zitat beginnt auch das eben erschienene Buch „Nach allen Regeln der Kunst“. Sein Untertitel „Macht und Geschlecht in Organisationen“ ist nicht zufällig, denn mit Birgit Volmerg, Thomas Leithäuser, Oswald Neuberger, Günther Ortmann und Burkard Sievers haben sich fünf OrganisationstheoretikerInnen als Autorenteam zusammengetan. Alle fünf kannten weder die Präsidentin noch ihre Hauptkontrahenten – drei männliche Kunstprofessoren. Für ihre neun Aufsätze werteten sie ausschließlich schriftliches Material aus der nunmehr schon fünf Jahre andauernden medienfüllenden Schlammschlacht aus. Die Schriften der Goehler- Gegner haben offenbar genügt, um die AutorInnen allesamt auf die Seite der ehemaligen GAL- Abgeordneten zu treiben, die 1989 in das Amt gewählt wurde und am 26. Oktober für eine zweite Amtszeit kandidiert. Im November wird die Entscheidung fallen.

Als WissenschaftlerInnen interessierten sie sich in erster Linie für den exemplarischen Charakter dieses Konflikts in einer Institution. Das kommt den LeserInnen entgegen, die Organisationssoziologie und -psychologie oder auch das „Geschlecht“ von Institutionen studieren wollen, weniger denjenigen, die sich für die konkrete Person Adrienne Goehler interessieren. Die wuselige, immer ein wenig extravagante Psychologin machte schon früher von sich reden, als sie im kalten Fischdunst Hamburgs einen Alternativkarneval etablierte und mit den „Frechen Frauen“ die erste reine Frauenliste in ein deutsches Parlament powerte. Jener Vorgeschichte entstammt wohl auch die Phantasie, diese schwarzäugige „freche Frau“ könnte eine Hexe sein.

„Noch ist die Frau nicht fürs Feuer“ – der FAZ-Autor, so stellt sich im Verlauf der Lektüre heraus, scheint die Hexenmetapher von den Goehler-Gegnern nur übernommen zu haben. „Man kann nicht Dr. Lüthje [gemeint ist Adrienne Goehler; d. Red.] lediglich als eine Prüfung ansehen“, heißt es in einer umfangreichen „Dokumentation“, die die Kunstprofessoren Walther, Rögener und Legner 1991 als Kampfschrift gegen Goehler vorlegten. „Der Mann (die Frau) stellt eine veritable Heimsuchung dar. Gleichwohl: Das Feuer möge über ihn (sie) kommen!“ Damals initiierten sie Rücktrittsforderungen, Dienstaufsichtsbeschwerden und Anzeigen gegen die Präsidentin – so viele an der Zahl, daß die Hamburger Gerichte bis heute beschäftigt sind.

Warum entwickeln gestandene linksliberale Professoren solch eine mörderische Wut? Den rationalen Kern des Konflikts umschrieb die Welt 1992 so: „Intern gelten die Querelen als Stellvertretergefechte für die Dauer-Konkurrenz zwischen Künstlern und Architekten an der Hochschule. Dabei geht es um Räume, um Profil, um Selbstdarstellung und Geltung der Fachbereiche nach außen.“ Solche Interessenkonflikte kennt aber jede Institution, und ihre subjektive Austragung, das betonen die AutorInnen, trägt immer auch irrationale Züge. Daß aber Vernichtungsphantasien in aller Öffentlichkeit ausgebreitet werden, ist zum Glück doch eher selten. Und offenbar nur damit zu erklären, daß sich Männer – vor allem diejenigen, die sich ihrer selbst nicht sicher sind – von einer Chefin massiv bedroht fühlen.

Das Bild von der Hexe ist dabei keineswegs die einzige Männerphantasie, die dem Schlamm dieses Dauerkonflikts entstieg. Die AutorInnen lassen eine ganze Reihe von den Goehler-Gegnern entworfene Gestalten aufmarschieren: unwürdige Tochter, böse Mutter, Teufel, tote Indianerin. Als Präsidentin hat Adrienne Goehler unfreiwilligerweise schon mehr Figuren verkörpern müssen denn als Karnevalistin.

Daß die WissenschaftlerInnen aber selbst nicht frei von kriegerischen Phantasien sind, zeigt ihre manchmal extrem überzogene Wortwahl. Den Goehler-Gegnern, schreiben sie, bleibe „nur noch eins: der totale Krieg“. An anderer Stelle sprechen sie von der „Barbarei“ der Auseinandersetzung oder davon, daß es „um Leben oder Tod“ gehe. Haben die AutorInnen zuviel Radionachrichten über Bosnien gehört? Auch der Titel eines Aufsatzes spielt auf die Geschichte des Balkankrieges an: „Die Schlacht am Lerchenfeld“. Auf dem Amselfeld wurden 1389 die Serben von den Türken besiegt, und „Am Lerchenfeld“ lautet die Adresse der Kunsthochschule. Welcher Böse soll hier besiegt werden? Hatte der Asta doch recht mit seinen Befürchtungen, als er auf dem Höhepunkt des Konflikts in einem Brief an den UN-Generalsekretär darum bat, „Teile der Hochschule zur UN-Schutzzone zu erklären“? Ute Scheub

Birgit Volmerg u.a.: „Nach allen Regeln der Kunst“. Kore Verlag, Freiburg 1995, 336 S., 35 DM