Abziehbilder aus der Ich-Maschine

■ In der Kunsthalle: Die junge Künstlergeneration, wie sie selbstverliebt um ihre Spiegelbilder kreist

Im Look eines Supermodels tritt der Künstler seinem Publikum entgegen. Mal Dessous-Dame, mal Grunge-Girl – Ugo Rondinone liebt dieses Verwechselspielchen. Die Fotomontage macht es möglich, daß der Künstler ständig seinen Körper wechselt. Einzige Konstante: das eigene Gesicht, das Rondinone Foto für Hochglanzfoto zu Markte trägt. Irgendwie clever, wie Kunst- und Modemarkt hier zusammenfallen, wie die angesagten Themen der Kunstkritik (“Identität“/“Gender“ etc.) gestreift werden und wie nebenbei auch noch des Künstlers Visage allgegenwärtig wird. Alles kreist munter um das Selbst – eine Idee, die derzeit Schule macht. Wie die junge Künstlergeneration sich selbst in Szene setzt, ist jetzt in der Bremer Kunsthalle zu erleben.

Dort stellen die Kandidatinnen und Kandidaten aus, die um den „Kunstpreis der Böttcherstraße“ wetteifern. Mit 30.000 Mark zählt er zu den bestdotierten privaten Kunstpreisen im Lande. Entsprechend hochkarätig soll die Auswahl derer sein, die in Betracht kommen. Zehn Kunstkenner schlagen dazu zehn aufstrebende Jungstars vor. Das Ergebnis ist kein Talentschuppen, sondern eine Demonstration von Kunstpositionen, denen man einige Gültigkeit zutraut. Martin Honert, der Preisträger von 1993, durfte anschließend die Bundesrepublik auf der Biennale in Venedig vertreten.

Doch was an Honerts Kunst bis heute gültig geblieben ist, ist allein der Trend zur Selbstverkitschung. Wie Honerts Plastiken dessen ach, so herrlich traurige Kindheitserinnerungen nachempfinden, kreist auch die Kunst der –95er-Generation um die eigene, kleine Künstlerwelt. Höchstens noch mal um den Kunstmarkt.

Großmeister dieses Spiels ist der Fotograf Wolfgang Tillmans. Seit er sich dem Ablichten von Freunden und Bekannten, Popstars und -sternchen verschrieben hat – endlich mal eine originelle Idee – gilt er als Szenefotograf, ja: als Belichter einer ganzen Generation. Seine Schnappschußtechnik sah man bei Kollegen zwar schon besser. Aber aus der Beliebigkeit seiner Motive und der Mittelmäßigkeit seiner Fotografie macht Tillmans nun eine Tugend. In großer Zahl bepflastert er die Galerien mit seinen schicken Bildern, pappt sie mit gezielter Schnoddrigkeit und Tesafilm kreuz und quer an die Wände. Porträts junger Gesichter, frontal und ideenlos inszeniert, Modefotos für Lifestyle-Magazine, Stars in kesser Pose oder nicht – scheißegal. Gleichgültigkeit als Prinzip. Das zieht: Eine junge Generation, die so aufreizend lässig daherschlurft, die jedem Kunstanspruch mit einem herablassenden Blick begegnet: Ist das nicht herrlich? Ist das nicht – große Kunst?

Nein, das ist es natürlich nicht. Tillmans' Fotos taugen für Popmagazine, mehr nicht. Daß er derzeit zum Helden seiner Generation stilisiert wird, zeigt lediglich die Angst des Kunstmarktes, womöglich einen neuen Trend zu verpassen. Trendy ist dies hier allemal – und übermorgen wieder vergessen, wenn der nächste Name nachgelegt wird. Gleichviel: Der Fotokenner Peter Weiermair hat Tillmans' Porträt einer jungen, androgyn wirkenden Frau ja schon zum Foto des Jahres gekürt. Auch für den Förderpreis darf sich Tillmans gute Chancen ausrechnen – Weiermair ist Mitglied der Jury.

So rattert die Ich-Maschine auf Hochtouren und spuckt immer neue Abziehbilder der Tillmans-Generation aus. Ugo Rondinones Modelfotos passen da gut ins Bild dieser Ausstellung. Eigentlich ist es egal, welches Kleid, welchen Körper er sich anzieht. Hauptsache, die Pose stimmt.

Die Kunst, Spiegelbilder nachzuahmen, beherrschen längst auch andere. In Anke Doberauers lebensgroßen Portäts steht eine Riege junger Männer dem Betrachter gegenüber. Hübsch zurechtgemacht und doch lässig in Pose geworfen. Doberauer hat alles liebevoll abgemalt – mit einer Interpretationsgabe, die ansonsten nur Plakatmalern zu eigen ist. Die Malweise, mit meisterlicher Hand auf „naiv“ gekämmt, paßt bestens zu den abgeklärten Mienen der Porträtierten. Von Ferne erinnert das an die kühlen Porträts des Fotografen Thomas Ruff, der in den 80ern den Grundstein für diese Haltung legte. Die Beschränkung auf Motive aus dem eigenen Dunstkreis; die plakative Wirkung der – möglichst großformatigen – Bilder; das Betonen der cleveren Methode, auf der man möglichst ausgiebig herumjuckelt – all das wirkt in weite Kreise der jungen Kunstszene hinein, und es dominiert auch diese Schau.

Da paßt es prima, wenn ein Ruff-Verwandter wie Boris Becker den zentralen Raum der Ausstellung belegt. Die ganze Kälte dieser cleveren Konzeptkunst spricht aus Beckers Großfotos. Die Monumente des Alltagslebens sind hier in entsprechendem Format abgebildet: Hochhausruinen, Brückenbauten, Pfandflaschenlager. Vor dem üblichen hellgrauen Himmel erscheinen sie als Skulpturen, deren Ausstrahlung zwischen Prächtigkeit und Morbidität schwankt.

Der graue Himmel, die alten Gebäude, die frontale Aufnahme: All das kennt man freilich schon zur Genüge, von Beckers Lehrmeistern Bernd und Hilla Becher nämlich. Becker & Konsorten haben deren Ideen lediglich zur Methode gemacht, zur Manier – technisch perfektioniert, konzeptionell besser duchkalkuliert. Und völlig blutleer.

„Boris Becker neue Fotografien handeln von dem Verlust unserer Utopien“, heißt es verständnisinnig im Katalog. Da wird niemand im Kreise der Kunstpreisaspiranten widersprechen. Utopien liegen nicht im Trend. Und mit dem Ruf nach einer neuen Weltsicht wollen wir die jungen Leute in ihren selbstgebauten Schneckenhäusern ja auch nicht gleich verschrecken. Aber wenn jemand mal wenigstens den Kopf herausstreckte – das wäre doch mal was. Vielleicht könnte es beim übernächsten Kunstpreis ja wieder trendy sein. Thomas Wolff

Bis 19. November, dann erfolgt auch die Preisvergabe