Moskaus Marionette gibt auf

Nach einem halben Jahr im Amt tritt der tschetschenische Premierminister zurück. Moskaus Kaukasus-Politik er um ein Debakel reicher, und Besserung ist nicht in Sicht  ■ Aus Moskau Klaus-Helge Donath

Knapp ein halbes Jahr stand Salambek Chadschijew der von Moskau inthronisierten Regierung der nationalen Wiedergeburt Tschetscheniens als Premierminister vor. Nun reichte er angeblich aus freien Stücken seinen Rücktritt ein. Wie in Rußland nicht unüblich, werden Mißerfolg und Versagen mit einem gut, wenn nicht gar besser dotierten Posten kompensiert. Chadschijew soll fortan das staatliche Komitee für Industriepolitik in Moskau leiten. Erfahrungen dafür bringt er mit: Unter den Kommunisten war er Minister für Petrochemie.

Als Premier konnte er nur höchst begrenzte Erfolge vorweisen. Weder gelang es ihm, die Opposition an einen gemeinsamen Verhandlungstisch zu bewegen, noch konnte er die russischen Militärs von einem behutsameren Vorgehen überzeugen. Als Mann Moskaus war er in den Augen der Tschetschenen von vornherein diskreditiert. Nach der Besetzung der Hauptstadt Grosny durch russische Truppen machte man ihn verantwortlich für die Übergriffe der Russen auf Zivilisten. Chadschijew muß mit Racheaktionen rechnen. Das mag ein Grund sein, sich in die Sicherheit abzusetzen.

Obwohl der Premier seine Arbeit auf Moskaus Geheiß aufnahm, tanzte er nicht ganz nach der Melodie seines Herren. Öffentlich verurteilte er die Brutalitäten der Armee, zuletzt den Luftangriff auf die Ortschaft Roschnitschu, bei dem 20 Menschen ums Leben kamen, die russische Luftwaffe jedoch jegliche Beteiligung abstritt. Nach dem Waffenstillstandsabkommen Ende Juli forderte Chadschijew sogar einen bedingungslosen Rückzug russischer Truppen aus der Republik und setzte sich für frühe Neuwahlen ein. Beobachter mutmaßten schon damals, Chadschijews Tage als Premier seien gezählt. Zu viel Eigenständigkeit hatte er gezeigt.

Seine Aufgabe bestand vornehmlich darin, den wirtschaftlichen Wiederaufbau Tschetscheniens zu leiten. Er nahm sich die Freiheit und trat der Moskauer Propagandamaschine entgegen, die unaufhörlich von den heroischen Erfolgen an der „Aufbaufront“ berichtete. Er dagegen bemängelte das Ausbleiben der versprochenen Hilfsleistungen. Vorwürfe Moskaus, die Mittel seien im tschetschenischen Korruptionssumpf versickert, ließ er nicht unbeantwortet. Gerüchten zufolge soll Rußlands Premier Viktor Tschernomyrdin auf die Entlassung Chadschijews gedrängt haben, sonst wolle er die finanzielle Unterstützung ganz einstellen.

Der Bürgermeister Grosnys, Beslan Gantemirow, wertete den Schritt des Kreml als „einen weiteren Verrat Moskaus an seinen Bundesgenossen“. Man hätte die Zusage gehabt, Chadschijew und Umar Awturchanow würden bis zu den Neuwahlen im Amt bleiben. Awturchanow trat als Vorsitzender des Komitees der Nationalen Eintracht ebenfalls zurück. Er hatte vor einem Jahr die militärische Intervention Rußlands in Tschetschenien geradewegs gefordert. Erst die Grausamkeit der Militärs ließ ihn ein wenig auf Distanz gehen. Nun übernimmt er die Stelle des stellvertretenden Leiters der Steuerfahndung in Rußland.

Die Personalpolitik beweist die Ratlosigkeit, mit der der Kreml das Tschetschenien-Debakel handhabt. Eine Lösung scheint vorerst nicht in Sicht. Der Nachfolger Awturchanows, sein ehemaliger Stellvertreter Letsch Magomadow, wird kaum mehr Vertrauen genießen als sein Vorgänger. Um den tschetschenischen Rebellenführer Dudajew an den Verhandlungstisch zu holen, dürften seine Kräfte nicht reichen. Als Premier wird der ehemalige Vorsitzende des tschetschenischen Parlaments, das Dudajew aufgelöst hatte, gehandelt. Alle Hoffnungen legt Moskau auf den 54jährigen Doku Sawgajew, der die Republik schon einmal zu Sowjetzeiten regierte. Zuletzt arbeitete er in Jelzins Stab. „Die Regierung hat keinen Plan“, kommentierte ein Experte des Moskauer Instituts für strategische Studien die aktuellen Ereignisse. Einen tschetschenischen Führungskopf gegen den nächsten auszuwechseln, sei ein Akt der Verzweiflung und ändere nur wenig.