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Größte Militäroffensive in Sri Lanka

■ Regierungstruppen rücken massiv gegen tamilische Hochburg im Norden vor. Hunderttausende sind auf der Flucht, die Versorgungslage in Jaffna ist kritisch

Colombo (taz) – Seit einer Woche führt die Armee Sri Lankas an der Nordspitze des Landes die bisher größte Offensive ihrer Geschichte. Das Ziel der Operation „Riviresa “ – Sonnenstrahl – ist wegen der Militärzensur nicht bekannt. Vermutlich will die Armee die Halbinsel Jaffna, die von der separatistischen Tamilenorganisation LTTE kontrolliert wird, vom Rest des Landes abschnüren.

35.000 Soldaten sind in den beiden Stützpunkten KKS (Marine) und Palali (Luftwaffe) zusammengezogen. Eliteeinheiten haben in den letzten acht Tagen mit Unterstützung von schwerer Artillerie und Luftwaffe ein Territorium von rund 30 Quadratkilometern erobert. Damit haben sie sich bis auf acht Kilometer Jaffna genähert.

Das langsame Vordringen und die hohe Zahl von Opfern zeigen, daß die Soldaten der LTTE trotz ihrer leichten Bewaffnung der Armee erbitterten Widerstand leisten. Nach Angaben des Militärsprechers in Colombo sind etwa 500 LTTE-Kämpfer ums Leben gekommen, ihre eigenen Verluste beziffert die Armee auf 107 Männer.

Auch Militärexperten in der srilankischen Hauptstadt sind sich nicht einig, welches die strategischen Ziele der laufenden Operation sind. Ein Nahziel ist zweifellos die Sicherung der beiden Stützpunkte von Palali und KKS. Nach dem Zusammenbruch des Waffenstillstands am 19.April war den Militärs bewußt geworden, daß die Guerilleros versuchten, diese beiden einzigen Brückenköpfe der Regierung auf der sonst vollständig von der LTTE beherrschten Halbinsel abzuschnüren.

Ob aber die jüngste Kampagne das Nahziel der Eroberung der Stadt Jaffna hat, bezweifeln Diplomaten in Colombo. Die Stadt beherbergt Zehntausende von Flüchtlingen. Ein unausweichlicher Nahkampf um die Stadt würde zu einem Massaker unter der Bevölkerung führen, da man von der LTTE weiß, daß sie ohne Zögern auch die Zivilbevölkerung als Schutzschild mißbraucht, wenn es ihren militärischen oder politischen Zielen dient. Die Stoßrichtung der laufenden Kampagne war bis heute denn auch nicht auf Jaffna gerichtet, sondern verläuft westlich davon.

Einige Beobachter glauben daher, daß das Ziel daher eher ein Abschneiden der Stadt Jaffna vom Operationsgebiet westlich davon ist. Dort befinden sich laut Meinung der Armee die Ausgangshäfen und das Trainingsgebiet der „Sea Tigers“, welche mit ihrer Suizidstrategie in den letzten Jahren eine tödliche Effizienz erworben haben: Seit 1990 haben sie die Hälfte der Flotte der srilankischen Marine versenkt. Eine Reihe von Selbstmordaktionen im Hafen von KKS, bei denen mehrere Kanonenboote und ein Versorgungsschiff versenkt wurden, legte die Absicht offen, den Hafen mit gestrandeten Schiffen zu verstopfen. Verteidigungsminister Ratwatte betont immer wieder, daß es ihm um „die Befreiung der Tamilen von ihren LTTE-Unterdrückern“ geht. Gegenwärtig beschränkt sich die Befreiung allerdings auf menschenleere Dörfer, denn die Bevölkerung ist vor den Kanonen geflohen und konzentriert sich immer mehr in den Gebieten südlich der Front.

Dabei mag sowohl Druck der LTTE als auch Angst vor Repressalien vorliegen, denn nach zwölf Jahren eines dreckigen Kriegs begegnet die Armee der tamilischen Bevölkerung im Norden mit tiefem Mißtrauen.

Angst und Aggression liegen auch hier nahe beieinander. Laut Angaben des für Jaffna zuständigen Government Agent befindet sich die Hälfte der Bevölkerung, rund 400.000 Menschen, auf der Flucht. Die Versorgungslage ist kritisch, da sich die Zahl der Flüchtlinge seit zwei Wochen verdoppelt hat. Es besteht ohnehin schon ein Nachholbedarf, da die Versorgung fünf Wochen lang ausgefallen war; die Uneinigkeit zwischen Regierung und dem Internationalen Roten Kreuz hatte eine IKRK-Beflaggung der Schiffe verhindert und sie damit für die LTTE zu Kriegszielen gemacht. Das Defizit an Lebensmitteln beläuft sich auf 25.000 Tonnen, dazu kommen auch zahlreiche Güter, die nun wieder unter einem Embargo stehen – darunter Kokosöl, das die LTTE angeblich zu einem Treibstoff vermischen.

Es handelt sich um die größte Kampagne, seitdem der „Eelam- Krieg“ 1983 als Kleinkrieg begann; er hat in den zwölf Jahren zwischen 35.000 und 50.000 Menschen das Leben gekostet. Je mehr auf beiden Seiten die Zahl der Gefallenen zunahm, desto größer wurden andererseits die beiden Armeen: Die tamilischen Kampfeinheiten der LTTE wuchsen von einer Hundertschaft auf eine Truppe von 14.000 Kadern, während sich die Armee von 12.000 auf über 100.000 Mann vergrößerte. Bernard Imhasly

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