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„Vom Notnagel zum Sargnagel“

Die ersten hundert rot-grünen Tage in NRW nötigen die CDU zu einem schwarzen Fazit. Ansonsten dümpelt das Bündnis vor sich hin. Der rot-grüne Aufbruch fiel bisher aus  ■ Aus Düsseldorf Walter Jakobs

Für die rot-grünen Koalitionäre in Nordrhein-Westfalen ist der Mann Gold wert. Wie kein anderer der Akteure schafft er es immer wieder, das weitgehend vor sich hindümpelnde Bündnis davor zu bewahren, dem Vergessen anheimzufallen. Doch da sei Helmut Linssen vor, der Düsseldorfer CDU-Oppositionschef, der gestern den nun schon hundert Tage andauernden rot-grünen Sündenfall in Nordrhein-Westfalen bilanzierte. Sein schwarzes Fazit: „Vom Notnagel zum Sargnagel.“

Noch sind die Grabreden à la Linssen zwar verfrüht, aber vom versprochenen Aufbruch ist im Lande auch kaum etwas zu spüren. Statt dessen beschäftigt sich das rot-grüne Bündnis, das eine Reformkoalition zu nennen die Sozialdemokraten sich weiterhin scheuen, vornehmlich mit sich selbst. Zeitweise schien es in den letzten Wochen so, als gäbe es im Lande nichts wichtigeres als die Neubesetzung von ein paar Regierungspräsidien. Das Gefeilsche hat inzwischen zwar ein Ende – die einstige grüne Bundestagsabgeordnete und Vizepräsidentin des Thüringer Rechnungshofes wird Regierungspräsidentin in Detmold –, aber es ist selbst nach dem Eindruck des SPD-Fraktionschefs Klaus Matthiesen inzwischen höchste Zeit, daß die beiden so ungleichen Partner die „Gewöhnungsphase“ endlich hinter sich lassen und „jetzt in die aktive Gestaltungsphase eintreten“.

Nachrichten produzierte die neue Koalition bisher vor allem mit kleinlichem Gezänk. Mal keilte die SPD-Fraktion gegen das vom grünen Bauminister Michael Vesper vorgelegte Vorruhestandsmodell – das das Kabinett dann einvernehmlich verabschiedete –, mal gerieten sich die grüne Umweltministerin Bärbel Höhn und SPD-Wirtschaftsminister Wolfgang Clement über die Zukunft der Chlorchemie in die Haare. Ein Getöse ohne jede Substanz, das außer einem verunsicherten Publikum nichts hinterließ. Wenn die Diskussionen über wichtige Streitpunkte auch künftig so inszeniert werden sollten, dann dürfte aus der von Vesper angekündigten „rot- grünen Erfolgsstory, auch für Bonn“ mangels Publikumsinteresse wohl nichts werden.

Roland Appel, der grüne Fraktionssprecher, wähnte die Koalition gestern zwar schon auf gutem Wege, doch die von ihm aufgelisteten „ersten Reformschritte“ – zum Beispiel die angekündigten liberaleren Richtlinien zur Abschiebepolitik, die Einrichtung eines Migrationsreferates oder die Einstellung von 440 neuen LehrerInnen – machten zugleich gnadenlos deutlich, woran es dem Bündnis vor allem mangelt: an einem zukunfts- und alltagstauglichen Konzept zu rot-grüner Wirtschaftspolitik. Außer der Aufstockung des Förderprogramms für regenerative Energien gibt es hier bisher kaum sichtbare „Reformschritte“.

Dieses Manko wiegt schwer, weil im industriellen Kernland der Republik über Erfolg oder Mißerfolg der Koalition zu allererst auf dem wirtschaftspolitischen Feld entschieden wird. Sollten hier die Alternativen, die Handlungsmöglichkeiten und Restriktionen in den nächsten Monaten nicht deutlich werden, dann steht die Koalition tatsächlich in der Gefahr, so zu enden, wie es der CDU-Oppositionschef gestern schon vorschnell und bissig prophezeite: „als ein Fehlversuch linksorientierter Politik“.

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