Die Fahne der Kommissarin

■ Die EU-Kommission kuscht vor Frankreichs Regierung

Die Europäische Kommission hat sich nicht getraut, Paris wegen der Atomtests zu verklagen. Dabei hat die französische Regierung doch wirklich nichts ausgelassen, um den Euratomvertrag lächerlich zu machen. Sie hat ihre Atomversuche nicht angemeldet, sie hat erst gar keine und dann unvollständige Informationen geliefert, und dann hat sie den Experten der Europäischen Union vor Moruroa auch noch die Tür vor der Nase zugeschlagen. Die Kommission hat's immer wieder geschluckt und sich erst auf Druck der Öffentlichkeit entschlossen, den konsequenten Kontrolleur zu mimen.

Vorgespielt – denn nach der gestrigen Generalabsolution für Paris ist es schwer vorstellbar, daß der harte Ton und die ultimativen Forderungen von Kommissionspräsident Santer vor zwei Wochen etwas anderes waren als Theater fürs Volk. Was hat Paris denn in den zwei Wochen nach Brüssel geschickt? Locker bedrucktes, geduldiges Papier. Die Europäische Kommission darf die Meßanlagen auf Moruroa auch jetzt nicht kontrollieren, wie der Euratomvertrag das verlangt.

Santer wollte sich nicht mit Frankreich anlegen, und die Mehrheit der Kommissare hat sich seiner windelweichen Haltung angeschlossen. Seit gestern wissen wir: Die Verträge der Europäischen Union gelten nur für die Kleinen, die Großen in der EU dürfen sich auf ihren politischen Einfluß verlassen.

Das Überraschende an der ganzen Geschichte ist übrigens nicht die Konfliktscheu von Santer, die war bekannt. Auch nicht, daß die Mehrheit der Kommissare den Widerstand gegen die Atomversuche für Blödsinn hält. Das Überraschende ist, daß auch die Umweltkommissarin Ritt Bjerregaard plötzlich ihren so überaus öffentlichkeitswirksam vorgetragenen Protest aufgegeben hat. Hält sie es wirklich schon für den großen Erfolg, daß die französische Regierung längst überfällige Informationen nachgereicht hat?

Aus ihrer Umgebung wird ein anderer Verdacht genährt. Ritt Bjerregaard ist am persönlichen Sieg interessiert, nicht an der Sache. Die Atomversuche sind ihr völlig gleichgültig. Wie schon bei der Anti-Shell-Kampagne ist sie auf den fahrenden Zug aufgesprungen, um ihre Fahne hochzuhalten. Als klar war, daß sie in der Kommission überstimmt werden würde, ist sie abgesprungen, hat die Fahne an den nächsten Signalmast gebunden und die Aktion zum Sieg erklärt. Ritt Bjerregaard riskiert keine Niederlagen. Ein schlechtes Zeichen für die europäische Umweltpolitik. Alois Berger, Brüssel