Arbeitslose zum Dienst

■ Die Bundeswehr rührt Werbetrommel – in Bremen ziemlich erfolgreich

Tucholsky würde staunen, könnte er die neuen Werbeslogans der Bundeswehr erleben. Geht es danach, sind Soldaten zukünftig Kaufleute. Oder Techniker, Fotografen, Berufskraftfahrer, Kommunikationselektroniker – sofern sie sich auf mindestens vier oder sechs Jahre verpflichten. Mit solcherlei Ausbildungen lockt die Bundeswehr auf den „Markt der Berufe“, um nach langen Jahren der Unterversorgung ihren Bedarf an Zeitsoldaten zu decken.

„Etwa 6.000 konnten wir für 1995 nicht gewinnen“, bedauert Gunter Feuerbach, oberster Wehrdienstberater für Niedersachsen und Bremen und Leiter der in Hannover residierenden Zentrale für Nachwuchsgewinnung Nord. Für die letzten drei Jahren verzeichnet er rückläufige Bewerberzahlen, erst seit kurzem winkt eine leicht ansteigende Tendenz. Den Mangel an Nachfrage führt Feuerbach vornehmlich auf die geburtenschwachen Jahrgänge zurück.

Dessen ungeachtet ist der Bedarf an Zeitsoldaten riesig: Feuerbach beziffert auf insgesamt 32.500 Mann. Davon sind 2.000 für die Offizierslaufbahn vorgesehen. Für die liegen, obwohl Abitur oder Fachhochschulreife vorausgesetzt werden, mehr als genügend Bewerbungen vor, in diesem Jahr waren es 7.418. „So ein Verhältnis von vier zu eins braucht man aber, um ein Minimum an Qualität zu haben“, rechnet der Wehrberater. Diese Rechnung geht bei den Bewerbern für die Laufbahn für Unteroffiziere und Mannschaften schon gar nicht auf. Bedenkt man, daß von den 21.415 Bewerbern nur 40 Prozent die Eignungsprüfung schaffen, so klafft eine gewaltige Lücke im Bedarf.

Mit weiteren Werbekampagnen will die Bundeswehr noch in diesem Jahr das Bewerberaufkommen um 30 Prozent steigern. Besonders in Celle und Bremen führten diese Maßnahmen zum Erfolg. Mit 257 Bewerbungen hat Bremen nach erst neun Monaten dieses Jahres bereits die Zahl von 1994 erreicht. Das sind 19 Prozent der Heranziehbaren, will sagen: Jeder Fünfte eines männlichen Jahrgangs in Bremen möchte Zeitsoldat werden – bundesweit ein Spitzenwert.

Richtig erklären läßt sich das Phänomen kaum, zumal Bremen „eher im linken Spektrum“ der Städte liegt, staunt Gunter Feuerbach. Er vermutet, die überdurchschnittlich gute Bilanz geht auf die „hervorragende Arbeit“ jener zwei Männer zurück, die in Bremen für die Bundeswehr die Werbetrommel schlagen. Daneben, räumt er ein, zeigen auch wachsende Arbeitslosigkeit und fehlende Ausbildungsplätze Wirkung: „Wir bieten einen sicheren Job, zumindest auf Zeit, und eine qualifizierte Weiterbildung.“

Das aber scheint diejenigen wenig zu beeinflussen, die die Bundeswehr bereits kennen. Wer die Grundausbildung absolviert, verliert offensichtlich die Lust, sich für längere Zeit zu verpflichten. Die fehlenden 6.000 Bewerbungen nämlich müßten aus dem Bereich der Erstverpflichteten kommen, aus dem insgesamt 50 Prozent aller Zeitsoldaten rekrutiert werden sollen. Mit 15.000 Bewerbungen sind bei den Truppen nur zwei Drittel der Quote erfüllt.

Und selbst die verpflichten sich vorwiegend aus wirtschaftlicher Not, vermutet Pastor Fink, Vorsitzender der Bremer Zentralstelle für Recht und Schutz der Kriegsdienstverweigerer. Schulden oder drohende Arbeitslosigkeit seien das Hauptmotiv.

Das Gros der Bewerbungen stamme aus dem Osten. „Wenn die jungen Leute überhaupt nicht mehr wissen, was sie tun sollen, gehen sie eben notfalls auch zur Bundeswehr.“ Deren Werbemaßnahmen kann Pastor Fink denn auch nur bissig kommentieren: „Die Bundeswehr benimmt sich im Augenblick, als ob sie auf Freiwilligenarmee umsteigen will.“ Daß etwa die Hälfte der Zeitsoldaten während der Grundausbildung gewonnen werden sollen, regt ihn besonders auf: „Von einem Jahrgang werden die 125.000 Wehrpflichtigen und die 120.000, die andere Dienste machen wie Zivildienst, ein Jahr lang eingesperrt, damit die Bundeswehr zu ihren 15.000 Freiwilligen kommt, die ihr fehlen. Das ist ganz bestimmt nicht der Sinn einer Wehrpflichtarmee. Da wird Wehrpflicht mißbraucht, um Leute zu nötigen, sich freiwillig zu melden.“ dah