Zelluloid und andere Kleinigkeiten

■ Im Kino 46: Eine „illustrierte Vortragsreihe“ über 100 Jahre Filmgeschichte

Heutzutage gilt nicht mehr als gaga, wer behauptet, die Wirklichkeit habe ausgedient und an ihre Stelle sei die Simulation getreten. Vielmehr darf man sich schmallippig auf Baudrillard und andere Neue Philosophen beziehen, führt man derlei Postmodernismen im Munde. Ist die Medienrealität wirklicher als die wirkliche, schafft sie eine zweite oder kann der aufgeklärte Konsument durchaus noch trennen zwischen Nachricht und Fiktion?

Wie dem auch sei. Bekannt ist jedenfalls, daß die Flotte, die die Philippinen freundlicherweise Frances Ford Coppola zu den Dreharbeiten von „Apocalypse Now“ zur Verfügung gestellt hatten, immer mal wieder gebraucht wurde – um Rebellen zu bombardieren. Zwei Nummern kleiner: Besonders Privatsender und windigere Illustrierte sind anfällig dafür, Ereignisse „herzustellen“, wenn sie nicht von selber stattfinden. Wenn etwa Punks keine Lust haben, grölend Bierflaschen in Schaufenster zu werfen, muß man sie ihnen eben (neben einem kleinen Obolus) in die Hand drücken.

„Wird die Wirklichkeit abgeschafft?“ fragt auch der Soziologe Dietmar Kamper von der Freien Universität Berlin anläßlich der „illustrierten Vortragsreihe „Der Blick auf die Welt durchs Kino“ im Kommunalkino 46. Einer von acht namhaften Referenten aus Deutschland und Italien, die sich – zum 100. Geburtstag des Mediums – von Freitag bis Sonntag in Bremen einfinden werden. Georg Seeßlen wird über die Geschichte des Kinos „Vom Jahrmarkt zum Multiplex“ sprechen, Gian Luca Farinelli (Kinemathek Bologna) erläutert Verfahren der Filmrestaurierung, der Stuttgarter Medienwissenschaftler Kay Hoffmann fragt sich, was im Zeitalter der Digitalisierung aus dem „analogen“ Medium Film werden soll. Leonardo Quaresima von der Universität Bologna/Udine geht der Entstehung des Dokumentarfilmes nach, und der Kölner Filmhistoriker Klaus Kreimeier wird den Weg „Vom Stummfilm zum Tonfilm“ nachzeichnen. Kein hochwissenschaftliches Symposion ist geplant, sondern eine Möglichkeit, für ein interessiertes Publikum, ihr individuelles Filmrepertoire einzuordnen, theoretisch zu unterfüttern. Und das auch anhand von „ausgewählten Filmraritäten“, die die Vortragsreihe bebildern sollen.

Eröffnet wird die Reihe mit Peter Bogdanovichs Klassiker „Die letzte Vorstellung“ (1971), einer einfühlsamen Studie des Lebens in der amerikanischen Provinz und des Kinosaals als Schauplatz jugendlicher Initiationsriten. Zum Thema nachbearbeitetes Archivmaterial sind (in der Originalversion) noch einmal Wolfgang Petersens „In the Line of Fire“ (1993) und Woody Allens „Zelig“ (1983) zu bewundern. Bei Petersen agiert Clint Eastwood – digital nachbearbeitet – als Leibwächter John F. Kennedys, während Woody Allen zehn Jahre früher als menschliches Chamäleon durchs Archivmaterial der Weltgeschichte geistert. Außerdem werden Ausschnitte aus „Taxandria“ gezeigt, einer virtuellen Zeitreise mit Armin Müller-Stahl. Produziert von dem rührigen Marburger Produzenten Heinz Bibo, der mit diesem Film ein innovatives – und preisgünstiges – Verfahren vorstellt, das special effects im Computer generiert.

Einige der Raritäten: Französisches Archivmaterial von 1903 bis 1913 ist zu bestaunen, ein Stummfilm von Ernst Lubitsch (“Ich möchte kein Mann sein“, 1918) und einer von Karl Valentin und Liesl Karlstadt (“Auf der Oktoberwiesn“, 1923); zum Abschluß: Mike Schlömers Dokumentation „Weiße Wände“ (1994). Was ist eigentlich aus den zehn Kinos geworden, die in Wenders „Im Lauf der Zeit“ zum Thema werden?

Alexander Musik

Im Kino 46: „Der Blick auf die Welt durchs Kino“, Donnerstag bis Montag, Anmeldung/Info 387 67 -32/36; alle Vorträge und Filme 50 Mark, Tageskarte 25 Mark