Der Großen Kunst im Kleinen dienen

Das Musikerinnenfestival „Wie es ihr gefällt“ wird heute mit einem Auftritt der 72jährigen Chansonette Agnes Bernelle aus Dublin eröffnet. Geboren wurde sie als Theaterdirektorentochter Agnes Bernauer in Berlin  ■ Von Hans-Christian Oeser

Agnes Bernelle – ist die Frau mit dem ungewöhnlichen Namen Engländerin, Irin, Französin? In Dublin ist ihr Name mehr als geläufig: Über Jahre hinweg hat sie das vorwiegend insular ausgerichtete Programm der irischen Bühnen bereichert: als Chansonette, Bänkelsängerin und Kabarettistin, als Brecht-Interpretin und als Regisseurin oder Übersetzerin von Günter Grass, Frank Wedekind und Peter Hacks. Doch die Dubliner Kabarettistin Agnes Bernelle kam 1923 als Agnes Bernauer in Berlin zur Welt – nun kehrt sie mit ihrem literarisch-musikalischen Programm in ihre Geburtsstadt zurück.

Ihr Lebensweg ist verzweigt: Geboren wurde sie als Tochter des ungarisch-jüdischen Librettisten und Theaterdirektors Rudolf Bernauer. Schon mit 13 Jahren wußte sie, daß sie Schauspielerin werden wollte. Und nicht nur das: Früher als ihre Eltern erkannte sie, daß Nazi-Deutschland einer „Halbjüdin“ wie ihr (ihre Mutter war Protestantin) keine Schauspielerkarriere ermöglichen würde. So drängte sie ihren Vater, ins Ausland zu fliehen und sie dort zur Schule zu schicken. „Er nahm sein goldenes Zigarettenetui, ging nach London und versetzte es, bis er Arbeit als Ghostwriter für Drehbücher bekam. Sobald er genügend verdient hatte, um mein Schulgeld zu bezahlen, ließ er mich nachkommen“, erzählt Agnes Bernelle.

Während der Kriegsjahre galt sie – wie die anderen deutschen Emigranten in London auch – als „enemy alien“. Und das bedeutete: Als sie von der Schule abging, erhielt sie keine Arbeitserlaubnis. Sprach sie für eine Rolle vor, bekam sie sie zwar oft, doch arbeiten durfte sie trotzdem nicht. Schließlich trat sie in den Freien Deutschen Kulturbund ein – an den sie „trotz des schrecklichen Namens“ gern zurückdenkt und dem sie ihre Abneigung gegen das kommerzielle Theater zuschreibt.

Der Bischof von Chichester stellte dem Bund ein Haus in Hampstead zur Verfügung, in dem – selbst während der deutschen Bombardements – satirische Kriegsrevuen dargeboten wurden, in einem Gemisch aus Deutsch und Englisch.

Ihre erste Solo-Show, ein Brecht-Weill-Abend in Soho, stellte die Weichen für ihre spätere Bühnenlaufbahn, der sie trotz langjähriger Unterbrechungen – Heirat mit einem Cousin Winston Churchills, drei Kinder, Umzug in die irische Grafschaft Monaghan, Textildesign – immer treu bleiben sollte. Und so lernte Agnes Bernelle, auch wenn ihr der Sinn stets mehr nach ernstem Drama stand, die Kunst des Kabaretts – und dies in einem Land, dem die Tradition der Satire noch bis lange nach 1945 vollkommen fremd war.

Wie verträgt sich ihre Liebe zur deutschen Sprache und Literatur mit dem Schicksal, das ihr und ihrer Familie zugefügt worden ist? „Daß meine Tanten in einem Konzentrationslager vergast worden sind, heißt nicht, daß ich mir nicht Mozart anhören kann“, sagt Agnes Bernelle. Aber sie hat doch fast ein ganzes Leben gebraucht, um über ihre, wie sie sich zurückhaltend ausdrückt, „Ressentiments“ hinwegzukommen.

Nicht, daß sie die deutsche Kultur als solche verwarf, aber erst vor einigen Jahren fühlte sie sich unbefangen genug, um nach Deutschland zurückzukehren: Mit Marianne Hoppe und Curt Bois drehte sie eine Fernsehserie, schließlich spielte sie eine kleine Nebenrolle – genau 50 Jahre nach ihrer Emigration. Danach war das Eis gebrochen, und inzwischen bedauert sie es sogar ein wenig, diesen Schritt nicht schon früher gewagt zu haben.

Ein vertanes Leben? Aus Agnes Bernelles Mund klingt es fast so: „Wenn ich zurückdenke, bin ich manchmal traurig. Ich hätte eine wundervolle Karriere als Schauspielerin haben können. Etwas anderes wollte ich nie. Dieses ganze Kabarett bedeutet mir eigentlich nichts.“ Sie wollte immer die Hauptperson spielen, eine wirkliche Heldin sein: die heilige Johanna, Hebbels Mariamne – oder dessen „Agnes Bernauer“. Denn ihren Vornamen bekam sie auf Wunsch ihres Vaters: Damit es eines Tages heißen könne, Agnes Bernauer spiele Agnes Bernauer.

Doch in Dublin ist sie, trotz der Nische, die sie gefunden hat, die Außenseiterin vom Kontinent geblieben, die stets die ungewöhnlichen, ausgefallenen Rollen übernehmen mußte. Agnes Bernelle verschweigt es nicht: Ihre schauspielerischen Ambitionen haben sich nicht erfüllt. Denn als sie ihren Namen von Bernauer in Bernelle änderte, hoffte sie insgeheim, daß man sie, wie die Garbo, nur bei ihrem Nachnamen nennen würde.

Doch das ist nicht geschehen: In Deutschland hat Agnes Bernauer die Agnes Bernauer nicht spielen dürfen, in England bot sich der Bernelle keine Gelegenheit, Mariamne darzustellen, und in Dublin macht Agnes Bernelle, eine große Künstlerin, Kleinkunst – ein deutsches Emigrantenschicksal.

Agnes Bernelle bei „Wie es ihr gefällt“: heute, 20.30 Uhr, KulturBrauerei, Knaack- Ecke Dimitroffstraße, Prenzlauer Berg. Eine ausführliche Vorschau auf das Festival erscheint morgen.