■ Vorlauf
: Nachts im Keller

„Techno - der verkaufte Traum“, 21.45 Uhr, ORB

Zwei Millionen Anhänger zählt Techno inzwischen – für Tita von Hardenberg und Stefan Mathieu Grund genug, die Sache zur „größten Jugendbewegung seit den Blumenkindern“ zu erklären. Schmerz. Der stärkere Schmerz stellt sich als direkte Folge jenes Satzes ein, der ihren Film eröffnet: „Eine Musikform mutiert zum Massenrausch.“ Wie konnte das nur passieren? Die ORB-Dokumentation über die ravende Gesellschaft ist weder so apokalyptisch noch pädagogisch, wie es sein Sprecher-Über-Ich (hallo, Lutz Ehrlich!) befürchten läßt.

Im Gegenteil. Hardenberg und Mathieu erzählen eine angenehm vorurteilslose Geschichte des Techno, was zum Gutteil daran liegt, daß sie sorgsam ausgewählte Raver der ersten Stunden offenbar sehr präzise befragt haben. Yogi, Alice und Terry Belle berichten, wie und warum Techno ihr Leben verändert hat. Alle drei haben „bei dieser Musik empfunden wie nie zuvor“, und sie können auch artikulieren, was: „Energie“, die totale Symbiose aus Technologie und Gefühl. Die Vision von friedfertigen und – so das Selbstverständnis – um Liebe im Umgang bemühten, aber auch konsumverliebten und unpolitischen Neo-Blumenkindern mag zwar als Interpretationsfolie für radikal veränderte Freundeskreise und Lebenswandel dienen. Doch die Autoren zeigen auch weniger erhabene Gründe, Techno anzuhängen – anfangs „das Gefühl, daß wir etwas besonderes sind“, später das Bedürfnis, den Trend nicht zu verpassen.

Die subkulturelle Partykommune erschaffte sich im Berlin von 1989 mittels Identitätsstiftung durch Abgrenzung selbst und erliegt 1995 unter anderem ihrer vom Alltag gelösten, penetranten Glücksforderung. Wo sich einst dreihundert Leute nachts um drei im Keller trafen, zucken jetzt fünf- oder fünfhunderttausend auf Massenraves und Love Parades, eingekleidet in den „Trend“-Etagen von Hertie oder Kaufhof. Über die Kommerzialisierung der Utopie scheinen viele ein wenig traurig zu sein. Aber so ist das nun mal, wenn – wohlbemerkt – esoterische Subkulturen jener Demokratisierung anheimfallen, die sie vorbereitet haben.Anke Westphal