Frauen in der Modernisierungsfalle

Erfolgreiche, Verliererin, Arbeiterin, Detektivin: vier zu einfache Frauenbilder  ■ Von Ulrike Baureithel

Vor ein paar Monaten erzählte die zur grünen Top- Politikerin avancierte Krista Sager folgende Geschichte: Auf die Frage eines Journalisten über die wünschenswerte Zukunft der Frauen parierte Sager, indem sie ein Bild mit vielen lustigen, frechen Mädchen unter einem blauen Himmel zusammenphantasierte; deshalb, so meinte sie, müsse der alte „greulich-abscheuliche“ Feminismusbegriff verabschiedet und durch einen modernisierten ersetzt werden.

Das Bild vermittelt viel über den Zustand der heutigen Frauenbewegung. Daß sich eine ja nun auch nicht gerade großmütterliche Politikerin in ein Kinderbild flüchtet, um die Zukunft des feministischen Projekts zu denken, kennzeichnet offenbar eine gegenwärtige Krise, die unter anderem darin besteht, daß die jungen Frauen die feministische Fackel der alten Kämpferinnen nicht übernehmen, sondern sich – so hat es jedenfalls den Anschein – auf deren Verdiensten ausruhen wollen. Zum anderen offenbart sich darin auch der Utopieverlust der Frauenbewegung: Die glücklichen Mädchen verweisen auf ein besseres Morgen, das frau für sich selbst nicht mehr erhofft. Aus dem lebendigen, oft irritierenden politischen Vexierbild, das die feministischen Utopien der siebziger Jahre prägte, ist ein statisches, langweiliges Genrebild geworden. Vor allem in der Medienrealität läßt sich die Konfektionierung der vielfältigen weiblichen Lebensverhältnisse verfolgen.

Die Erfolgreiche

Sie begegnet uns in der ausschließlich an Frauen addressierten Hochglanzpresse und nicht zuletzt in der Emma. Ganz in der Tradition des bürgerlichen Bildungs- und Erziehungsromans geht die Protagonistin trotz vielfältiger Hindernisse unbeirrt ihren Weg zu den Schaltstellen der Macht. Aufstiegsqualifiziert durch die drei funktionalen Ks der postindustriellen Gesellschaft – kompetent, kompatibel, kostenmindernd –, findet man sie in den großen Bürokratien, in der Wirtschaft, zunehmend auch in der Politik. Ihre Kompetenz reicht von der rein fachlichen ihres Metiers bis hin zu psychisch-sozialen Fähigkeiten: Man schätzt sie als einfühlsame, berechenbare Vorgesetzte ohne egozentrisches Spielbedürfnis oder als gruppendynamisch ausgleichenden Faktor im Teamwork. Weil sie nicht auf ihrem Posten klebt, flexibel ist und – da meist Single – mobil bis zur Selbstaufgabe, ist sie als kompatibles Teilstück überall einsetzbar. Billig ist sie darüber hinaus. Selten wird sie uns als „Alibifrau“ vorgestellt, das würde ihre Bedeutung mindern, und schon gar nicht als eine, die das ganze System umzumodeln gedenkt. In Wirklichkeit gilt sie als „erweiterter Mann“, dem männlichen Gegenstück deshalb überlegen, weil sie keiner Kompensationsinstanzen außerhalb ihrer selbst bedarf.

Die Detektivin

Soweit die Detektivgeschichte aus weiblicher Perspektive erzählt wird, bemüht sie sich um die Aufdeckung einer Verschwörung, die unter dem Stichwort „backlash“, also Gegenschlag, bekannt geworden ist, und die Geschichten handeln allesamt von der hintertriebenen Emanzipation der Frauen. Wie es sich für das Genre gehört, sind Gut und Böse leicht unterscheidbar: Als Protagonistin erscheint die aufstiegswillige Frau, die von einem bösen Antagonisten an ihrem Tun gehindert wird. Über allen schwebt die integre „Detektivin“, die dem mißgünstigen Finsterling auf die infame Tour kommt und den „Fall“ enthüllt. Besonders dankbar sind jene Fälle, wo sich das Böse als politische Charaktermaske ausmachen läßt: Der Papst eignet sich da ebenso wie die hintergestrigen Männer von der CDU-Basis oder der Generalanwalt des Europäischen Gerichtshofs, der das Urteil gegen die Bremer Quotenregelung fällte.

Dieselbe Geschichte wird aber auch andersherum erzählt: Da geraten Männer, als harmloseste Vertreter ihres Geschlechts, nun ganz unverschuldet, aufgrund einer politisch-juristischen Verschwörung ins berufliche Abseits. Persönlich kann man ihnen gar nicht richtig böse sein. Wie ebenjenem Bremer Angestellten Eckhard K., der vor den Europäischen Gerichtshof zog und gegen die Quote klagte. Während der Entlarvungsgestus der ersten Rede also gewissermaßen die männliche Macht noch einmal bestätigt in dem Sinne, daß den Männern die Macht zum Gegenschlag zugestanden wird, liegt das Kalkül der zweiten darin, vorzuführen, wie der Gleichheitsgrundsatz erfolgreich gegen die Frauen zu wenden ist.

Die Arbeiterin

Die ersten beiden Erzählsujets – also die von der gelungenen und die der hintertriebenen Emanzipation – sind im Mittelschichtsmilieu angesiedelt. Bei den Geschichten aus der Arbeitswelt gibt es eine heroische und eine nichtheroische Variante. Die heroischen Geschichten – sie spielen häufig im Gewerkschaftsmilieu, und ihre Heldinnen stammen nicht selten aus der DDR – sind Erzählungen über Aufhol- und Abwehrkämpfe, und sie handeln von weiblicher Solidarität. Es geht um „gleichen Lohn für gleiche Arbeit“ oder den Kampf gegen allzu rücksichtlose Ausbeutung der Frauenarbeitskraft. In der nichtheroischen Form tauchen oft dieselben Frauen wieder auf, diesmal als Rationalisierungs- oder Modernisierungsopfer. Sei es, daß ihre Initiativen fehlgeschlagen sind, wie kürzlich bei der spektakulären Kasseler Arbeitsgerichtsentscheidung über die Gleichbezahlung von Männern und Frauen, oder daß sich gutgemeinte Forderungen plötzlich gegen die Frauen selbst richten. Die neue Arbeitsrealität der VW-Arbeiterinnen ist ein gutes Beispiel dafür: Die Flexibilisierungskampagne, die ursprünglich auch ihre auf Teilzeitarbeit gerichteten Hoffnungen erfüllen sollte, führt mittlerweile zum völligen Abbau der Produktionsbereiche, in denen Frauen hauptsächlich beschäftigt sind, beziehungsweise zur Totalmobilisierung der Arbeitskräfte. Gerade die sogenannte Teilzeitoffensive, einst mit emanzipatorischem Elan vorgetragen, entwickelt sich mittlerweile zum Bumerang: Was in den achtziger Jahren als „Vereinbarkeitsproblem“ schöngeredet wurde, offenbart sich in den Neunzigern als die trostlose Zementierung geschlechtsspezifischer Arbeitsteilung.

Sollte ihr Arbeitsplatz dem „Standort Deutschland“ schließlich ganz zum Opfer fallen, gerät sie in den Abwärtsstrudel des zweiten und dritten Arbeitsmarktes. Frauenministerin Nolte beispielsweise dient den arbeitslosen Frauen in Ostdeutschland an, sich – sozusagen als Dienstmädchen in „Mobilzeit“ – in der Tagespflege von Kleinkindern zu verdingen.

Die Verliererin

Medial ergiebiger sind hingegen die Leidensgeschichten derer, die schon ausgegrenzt sind. Daß die Armut weiblich sei, gehört zu den beliebtesten aus der Frauenbewegung übernommenen Allgemeinplätzen. Die Provokation, die einst in dieser These lag, hat sich längst abgenutzt, nicht aber ihr Effekt, der alle Frauen unterschiedslos zu Opfern macht. Armut ist dann ein schicksalsträchtiger Zustand, über den sich leicht lamentieren läßt: eine Tat ohne adressierbaren Täter. Darüber hinaus sind die Armutsgeschichten prädestiniert, die Betroffenen gegeneinander auszuspielen: Die „verarmte Jugend“ Berlins steht dann zum Beispiel gegen die um sich greifende „verschämte weibliche Altersarmut“ in der Stadt; die Armut ostdeutscher Frauen gegen die der westdeutschen; die der weißen Frauen gegen die der Immigrantinnen. Einzig geschichtsbildendes Moment jeder Gruppe ist das Opfersein und die Konkurrenz darum, wer an die Spitze der Opferhierarchie rücken darf.

Dem Bemühen um sinnstiftende Eindeutigkeit kommen insbesondere die erste und letzte Variante entgegen, weil sie nach dem Muster von Ausnahme und Regel funktionieren. Die erste Erzählung, also die von der Karrierefrau, verlangt keinen Handlungsbedarf, weil frau bereits alles erreicht hat; die letzte enthebt sich diesem Anspruch, weil sie die soziale Frage in einen anthropologischen Zustand transportiert. Indessen läßt sich die Neigung zur griffigen Vereinfachung und Vereindeutigung auch in der Frauenbewegung oder besser bei denjenigen Vertreterinnen, die die versprengten Teile der Bewegung in der Öffentlichkeit repräsentieren, beobachten. Die widerstreitenden Interessen erzeugen offenbar die realistische Angst, daß auf dem unübersichtlichen Schauplatz der Konkurrenzen das Gemeinsame der Frauen und die Solidarität verlorengehen könnten. In der feministischen Diskussion der letzten Jahre hat es sich eingebürgert, das Problem, daß Frau eben nicht gleich Frau ist, als weibliche „Mittäterschaft“ zu psychologisieren und zum moralischen „Defizit“ entweder des Kollektivs oder der einzelnen Frau zu erklären. Sinnvoller scheint es mir, es als Herrschaftsproblem in dem Sinne zu begreifen, in dem das sexistische Bevorteilungssystem ebenso wie das kapitalistische nach dem Prinzip „Teile und herrsche“ arbeitet: So werden bestimmte Gruppen von Frauen nicht etwa bevorzugt, sondern weniger benachteiligt als andere.

Denn offenbar ist es doch die real sich reproduzierende Ungleichheit zwischen Frauen, die die feministische Identitätspolitik in die Krise gebracht hat und einen gattungsspezifischen gemeinsamen Utopieentwurf verbiete. Es ist bemerkenswert, daß ausgerechnet zu diesem Zeitpunkt in der populären politisch-feministischen Diskussion anachronistische Bilder Konjunktur haben, die auf historische Erklärungsmuster zurückgreifen, um Gegenwärtiges zu deuten.

Ein Beispiel liefert die Debatte um die Arbeitslosigkeit ostdeutscher Frauen. Nachdem durch die Kaputtschrumpfung der DDR-Industrie die Erwerbsquote ostdeutscher Frauen auf das Niveau in Westdeutschland rutschte, titelte die ostdeutsche Wochenpost zum Frauentag 1992 mit dem Slogan: Wer sich nicht wehrt, kommt an den Herd. Seither ist dieses Bild zum Allgemeinplatz geworden. Dabei wird so getan, als würde die derzeitige Entwicklung umstandslos an den westdeutschen Verhältnissen der fünfziger Jahre – intakte Hausfrauenehe und Familienlohn des männlichen Normalarbeiters – anknüpfen. Ein einfacher Blick auf die betroffenen Frauen zeigt indessen, daß davon keine Rede sein kann und selbst die in einer Hausfrauenehe lebenden Frauen nicht automatisch auf einen männlichen Normalverdiener zurückgreifen können. Wohin die Reise dagegen geht, zeigen drastisch steigende ungeschützte Arbeitsverhältnisse, wie sie etwa Frau Nolte vorschweben. Das ist weitgehend bekannt; und trotzdem hält sich die Vorstellung, die Frauen würden an den heimischen Herd zurückgetrieben.

Dieser Rückgriff auf wenig erklärungsfähige Topoi erscheint als Ausdruck des Wunsches der Frauen nach identitätsstiftender Politik. In einem Klima sozialer Unsicherheit und diffuser Zukunftsbedrohung läßt sich aus dem Opferstatus nicht nur eine eindeutige, wenn auch negative Identität ableiten, sondern er schützt auch nach innen, indem die Teilkollektive die Zumutung von sich weisen, ihre Mitglieder differenziert wahrzunehmen. In diesen Komplex gehört die hartnäckige Behauptung des „Einheitsopfers Frau“, als ob es nicht massenhaft ostdeutsche Frauen gäbe, die durch die Einheit gewonnen haben.

Doch der Appell, die Unterschiede zwischen uns „anzuerkennen“, ist kein sinnvoller politischer Weg. Ich bin vielmehr der Auffassung, daß eine solche Akzeptanz eher dazu führt, diese Unterschiede, die ja durchaus eine sozialökonomische Basis haben, zu zementieren. Bleibt es beim Appell, mag am Ende ein neues Umgangs- Design herauskommen: Frau wird dann nicht mehr „vergessen“, die Immigrantinnen mit zu erwähnen, und die westdeutsche Professorin wird ihr ostdeutsches Kindermädchen annähernd menschlich behandeln; gerechtere Verhältnisse verspricht diese Perspektive nicht.

Diese Einsicht kann auf der konkreten politischen Ebene durchaus schmerzlich sein, zum Beispiel wenn frau sich die Frage stellt, welche Frauen es eigentlich sind, die von einer Quotenregelung begünstigt würden. Irritierend auch das Eingeständnis, daß aus dem „Hausmädchenprivileg“ durchaus auch Frauen Nutzen ziehen. Bislang ist mir jedenfalls unter Berliner Feministinnen noch kein Aufruf zu einer politischen Selbstbezichtigungskampagne bekannt, die da lautet: „Ich habe eine polnische Putzfrau!“

Aus dieser Perspektive erscheint das Private dann wieder hoch politisch, und die Probleme wären auf einer politischen und nicht nur moralischen Ebene zu bearbeiten. Möglicherweise stellte sich dann wirklich heraus, daß die polnische Domestikin mit ihrer Arbeitgeberin keine gemeinsamen Interessen hat, dagegen mit dem Tag für Tag als Leiharbeiter über die deutsch-polnische Grenze ziehenden Maurer; und vielleicht sogar welche mit dem Asylbewerber aus Uganda. Möglicherweise ergibt sich zwischen der polnischen Putz- und der deutschen „Haus“frau eine neue, andere Koalition, wenn es der Europäischen Union einfällt, die Grenzen nach Polen dichtzumachen, oder wenn zum Beispiel der polnische Ehemann gewalttätig wird und die Polin ein Versteck sucht. Das Prinzip wechselnder Bündnisse hat auf der Ebene der Basisbewegungen mehr Aussicht auf Erfolg als in parlamentarischen Strukturen. Die partiellen Koalitionen orientierten sich dann an gleichen Interessenlagen und nicht (nur) entlang der geschlechtlichen Identität. Das bedeutet keineswegs das Aus für feministische Politik. Da Frauen über alle Unterschiede hinweg gemeinsame Interessen haben, werden sie konkrete Belange auch kollektiv vertreten können. Doch der neue Geschlechtervertrag ist nicht oder nicht nur als Staatsvertrag einzufordern, sondern er wird sich, wenn er jemals realisiert werden soll, herstellen entlang partieller Interessenbündnisse, über die geschlechtliche Demarkationslinie hinaus.