Franjo Tudjman – General und Nationalist

Kroatien wählt am kommenden Sonntag ein neues Parlament. Die Partei des Präsidenten, HDZ, strebt die Zweidrittelmehrheit an  ■ Aus Zagreb Erich Rathfelder

Schmallippig ist er. Sein Verhalten wirkt hölzern. Seine Augen sind kalt und abweisend. Es fehlt ihm an Charisma. Um so erstaunlicher ist der Grad der Beliebtheit, den Kroatiens Präsident Franjo Tudjman in seinem Land erworben hat.

Doch immer noch strebt er danach, die Ausstrahlung einer großen Persönlichkeit zu besitzen. Ebenso wie auch andere Politiker der Nachfolgestaaten des ehemaligen Jugoslawien möchte er seinem Vorbild gleichen: dem Staatsgründer Josip Broz, genannt Tito. Auch dem serbischen Präsidenten Slobodan Milošević schmeichelt es, mit dem „Alten“ verglichen zu werden. Selbst der bosnische Abweichler Fikret Abdić, der sich von seinen Anhängern „Babu“ (Vater) nennen läßt, sieht in Tito seinen Vater. Von Franjo Tudjman werden beide indes noch übertroffen. Selbst in Details versucht er Tito zu kopieren, von den Phantasie-Uniformen bis hin zu Gesten, die seine Reden unterstreichen.

Vor 73 Jahren in Zagorje nördlich von Zagreb – nicht weit vom Geburtshaus Titos entfernt – geboren, teilt er mit dem ehemaligen kommunistischen Diktator sogar den Dialekt.

Tudjman hat Tito persönlich viel zu verdanken. Als 19jähriger, Ende 1941, trat Tudjman der Partisanenbewegung bei. Gegen Ende des Zweiten Weltkrieges war er zum jüngsten General in Titos Armee aufgestiegen. Tudjman, der in Belgrad lebte, wurde auch weiterhin von Tito gefördert: Er wurde Leiter der Kaderabteilung der Armee und Vorsitzender des Fußballvereins „Partizan Belgrad“.

Was Tudjman 1961 veranlaßte, einen Karriereknick zu wagen und nach Kroatien zurückzukehren, ist bisher im Dunkeln geblieben. Er blieb zwar weiterhin Hätschelkind des Regimes, studierte Geschichte und wurde bald darauf Professor und Leiter des Instituts für die Geschichte der Arbeiterbewegung in Zagreb. Aber er begann auch, sich als kroatischer Historiker zu profilieren. Mit seinen Arbeiten versuchte er, die Schuld Kroatiens an der Massenvernichtung von Serben, Juden und Roma im Zweiten Weltkrieg zu relativieren. Eine seiner Thesen lautete, die bisherigen Zahlen ermordeter Serben während des kroatischen Ustascha-Regimes seien übertrieben und dienten der Unterdrückung der kroatischen Nation. Damit geriet er in Konflikt mit seinem Ziehvater und mit dem Regime.

Als einer der Köpfe des unterdrückten „kroatischen Frühlings“ wurde Tudjman 1971 zu drei Jahren Gefängnis verurteilt. Seitdem entwickelte er sich zum kroatischen Oppositionspolitiker.

Doch aus der Zeit des Kommunismus behielt er totalitäre Denkmuster bei. Zudem verfügt er als ehemaliger General der jugoslawischen Armee über viele militärische Kenntnisse. Die Kombination beider Momente sowie seine Hinwendung zur kroatischen Geschichte machte ihn Ende der achtziger Jahre zu einer Führergestalt. Selbst eingefleischte Antikommunisten des Exils schätzten ihn, weil sie sein Profil als „geläuterter Kommunist und General“ als vorteilhaft für die Lösung der anstehenden Aufgaben werteten. Der engste Zirkel der kroatischen Nationalisten rechnete bereits 1989 mit der Möglichkeit eines Unabhängigkeitskrieges.

Zwar gab es auch Kritik. Die Umständlichkeit seiner Ausdrucksweise sei nicht dazu geschaffen, Massen zu begeistern; sein Erscheinungsbild sei zu durchschnittlich, klagten die Königsmacher des Exils in Kanada und in den Vereinigten Staaten. Doch sie sahen keine Alternative. Als es Tudjman gelang, mit dem Geld des Exils und dem Schüren antiserbischer Ressentiments bei den Präsidentschaftswahlen 1990 eine komfortable Mehrheit zu erreichen, verstummte die Kritik. Die von ihm gegründete „Kroatische Demokratische Bewegung“ (HDZ) wurde Regierungspartei.

Und es stellte sich heraus, daß viele Kroaten sich gerade mit dem aus dem kommunistischen Regime hervorgegangenen Durchschnittsmenschen identifizieren konnten. Tudjman kam nicht von außen. Er hatte wie die meisten Menschen das Regime nicht nur erlebt, sondern es aktiv durchlaufen. Auch die Mitläufer sahen Tudjman als einen der ihren an.

Bald zeigte er seine Qualitäten. Tudjman gelang es nach Kriegsbeginn 1991, nicht nur auf militärischem Feld, sondern auch auf diplomatischem Parkett, die Position Kroatiens zu halten oder zu verbessern. Zwar ging 1991 fast ein Drittel des Staatsgebiets an die serbischen Nationalisten verloren, doch erwies sich der kroatische Staat als überlebensfähig. Und Tudjman erwies sich als Politiker: Als Vorbedingung für die diplomatische Anerkennung ließ er im Dezember 1991 im Parlament Autonomierechte für die serbischen Mehrheitsgebiete in Kroatien bestätigen. Die dann vom damaligen deutschen Außenminister Hans- Dietrich Genscher (FDP) in der Europäischen Gemeinschaft durchgeboxte diplomatische Anerkennung Kroatiens konnte Tudjman als seinen persönlichen Triumph feiern. Mit der Stationierung von UNO-Truppen in Kroatien wurden die Frontlinien eingefroren. Kroatien erhielt eine Atempause.

Die Opposition hatte kaum Alternativen anzubieten. Sie versagte zudem, als Tudjman 1993 den Krieg gegen die bosnischen Muslime und gegen den multikulturellen Staat Bosnien-Herzegowina begann. Seine Unterstützung der von antimuslimischen Ressentiments geprägten westherzegowinischen Extremisten schadete ihm in der kroatischen Öffentlichkeit nicht. Und auch nicht jene Gerüchte, Tudjman habe im April 1991 bei einem Treffen mit dem serbischen Präsidenten Milošević in Karadjordjevo eine Übereinkunft getroffen, Bosnien unter Kroatien und Serbien aufzuteilen. Weder die Liberalen noch die demokratischen Sozialisten konnten innenpolitisches Kapital aus dieser international verfemten Politik schlagen, weil sie eine offene Konfrontation mit Tudjman scheuten.

Die in der Endphase des Kommunismus demokratisch gesinnten Fernseh- und Radiojournalisten ließ Tudjman ausschalten; zahlreiche Zeitungen nahm er unter Regierungskontrolle. Damit gab er der Opposition wenig Spielraum für ihre Kritik. Selbst die offen betriebene Patronage für die eigene Familie – Sohn Miroslav ist Chef von fünf Geheimdiensten, Sohn Stjepan Chef einer Reihe von Firmen, Tochter Nevka kontrolliert das Tabakmonopol – hat ihm bisher kaum geschadet. Denn viele seiner Anhänger sehen weder in der Demokratie noch der persönlichen Integrität absolute Werte. Hatte nicht in den Jahren des Sozialismus jeder den Staat zu schröpfen versucht, wo es nur möglich schien? Vieles sehen die Kroaten Tudjman deshalb nach. Wichtig ist ihnen allein, daß er „Kroatien gerettet hat“. Mit der Rückeroberung der Krajina ist seine Popularität ins Unendliche gestiegen. Auf militärischem Gebiet hat er für viele Kroaten seine Kompetenz unter Beweis gestellt. Die unter seiner Leitung aufgebaute moderne Armee braucht die direkte Konfrontation selbst mit Serbien nicht mehr zu fürchten; die baldige Rückeroberung von Ostslawonien wird in Zagreb nicht mehr ausgeschlossen. Seit den Aktionen „Blitz“ und „Sturm“ vernebelt das Gefühl nationaler Stärke die Gehirne vieler Kroaten.

In den Augen vieler Kroaten ist Tudjman heute schon zur großen Gestalt der kroatischen Geschichte aufgerückt, zum Erbauer eines fast „ethnisch reinen“ kroatischen Nationalstaates. Was macht es schon aus – so denken viele –, wenn er es mit Menschenrechten und Demokratie nicht ernst nimmt? Der Exodus der Serben aus der Krajina wird nur mehr von wenigen Oppositionellen kritisiert. Die verbliebenen Serben sind nur noch eine Minderheit im Staat; die ihnen im Dezember 1991 zugestandenen kollektiven Rechte wurden vom Parlament wieder zurückgenommen. Tudjman wäre nicht Tudjman, wenn seine Ambitionen mit diesen „Erfolgen“ nicht weiter angestachelt würden. Es spricht einiges dafür, daß Tudjman das Abkommen mit Milošević über die Aufteilung Bosniens heute nur als zeitweiliges taktisches Manöver ansieht. Dem Geiste seines Ziehvaters Tito entspräche es, jetzt nach den Sternen zu greifen: Das gesamte Bosnien soll es sein. Gelänge dies aufgrund der internationalen Widerstände nicht, wäre er jedoch auch elastisch genug, sich mit einem großen Stück aus dem „bosnischen Kuchen“ zufriedenzugeben. Sein Wunsch, Kroatien so groß und so stark zu machen wie niemals zuvor in der Geschichte, erscheint schon beinahe verwirklicht.

Es entspräche Tudjmans Ego, allen zu beweisen, daß der wegen seines taktischen Geschicks bekannte Slobodan Milošević gegenüber ihm, dem ehemaligen Partisanengeneral, doch nur ein Klippschüler Titos geblieben ist. Daß Milošević am „Projekt Großserbien“ scheiterte und die serbische Gesellschaft international isoliert hat, stellt für Tudjman keine Lehre dar. Indem er das „Projekt Großkroatien“ verfolgt, könnte ihn und Kroatien ein ähnliches Schicksal wie jenes von Milošević ereilen.

Diese von manchen westlichen Staaten schon angedeutete Warnung ernstzunehmen, überschreitet jedoch den Horizont des nationalistischen und totalitären Denkens eines Franjo Tudjman.