Die Kommissarin zensiert sich selbst

■ Ritt Bjerregaard läßt ihr eigenes EU-Insider-Buch einstampfen

Selten hat ein Buch, das nie erscheinen wird, soviel Aufsehen erregt. Die dänische EU-Umweltkommissarin Ritt Bjerregaard hat gestern in Brüssel verkünden lassen, daß sie ihr fröhliches Tagebuch über das Leben und Treiben in der Europäischen Kommission doch nicht veröffentlichen wird. Sie habe den Verlag angewiesen, das Manuskript einzustampfen.

In den vergangenen Tagen hatte eine dänische Zeitung einige Auszüge gedruckt, die auf einen echten Kassenschlager hoffen ließen. Über eine Begegnung mit Bundeskanzler Kohl schreibt sie, daß er geistig abwesend gewesen sei und nicht mitbekommen habe, mit wem er gerade zu tun hatte. Der spanische Premier Felipe Gonzales sei ein schlapper Mann ohne Energie und Kommissionspräsident Santer lasse sich vom französischen Präsidenten Chirac schlampig und gleichgültig behandeln, ohne aufzumucken. Erfrischend offen erzählt sie auch vom Innenleben der Kommission, das dem deutschen EU-Kommissar Martin Bangemann weitgehend fremd sein müsse, weil er so gut wie nie da sei. In der EU-Kommission kam das Buch nicht so gut an, was Frau Bjerregaard überraschte. Eigentlich habe sie nur die dänische Öffentlichkeit über ihr Wirken in Brüssel auf dem laufenden halten wollen. „Gute Freunde fühlten sich mißbraucht und verraten,“ begründete Ritt Bjerregaard gestern ihren Rückzieher. Sie räumte ein, daß sie ihrer politischen Arbeit völlig „sinnlos“ geschadet habe.

In Brüssel verhärtete sich gestern der Verdacht, daß ihr seltsames Einknicken bei den französischen Atomtests mit dem Wirbel um ihr Tagebuch zusammenhängt. Nachdem sie monatelang eine harte Haltung der EU-Kommission gegenüber Paris gefordert hatte, war sie bei der entscheidenden Sitzung plötzlich gegen weitere juristische Schritte. Ein Kommissionssprecher bestätigte gestern, daß Ritt Bjerregaard vor dieser Sitzung von Kommissionspräsident Santer zu einem Gespräch zitiert worden war. bois