■ Mit der geplanten jährlichen Kürzung der Arbeitslosenhilfe nimmt Bundesarbeits- und Sozialminister Norbert Blüm (CDU) eine wachsende Zahl von SozialhilfeempfängerInnen billigend in Kauf.
: Blüms Verschiebebahnhof

Mit der geplanten jährlichen Kürzung der Arbeitslosenhilfe nimmt Bundesarbeits- und Sozialminister Norbert Blüm (CDU) eine wachsende Zahl von SozialhilfeempfängerInnen billigend in Kauf.

Blüms Verschiebebahnhof

Es soll doch tatsächlich erwerbslose Ingenieure geben, die 20 Jahre lang eine erkleckliche Summe an Arbeitslosenhilfe beziehen; Ingenieure, die auf der faulen Haut liegen und den Staat schröpfen. Norbert Blüm (CDU) empörte sich im Sommer gleich mehrmals über solcherart Mißbrauch. Und der Bundesarbeitsminister traf mit seinem Lieblingsbeispiel die Seele des Stammtischs. Eine kleine Anfrage der Bündnisgrünen machte Blüms Empörung schon wenig später zunichte. Ganze elf Personen, zehn Männer und eine Frau, bezogen im Sommer 1995 in Deutschland schon seit 20 Jahren Arbeitslosenhilfe. Ob sich darunter auch ein Ingenieur befand, konnte die Bundesregierung in ihrer Antwort leider nicht ausmachen.

Doch das ficht den Arbeits- und Sozialminister nicht an. Immerhin weist der Bundeshaushalt für 1996 noch ein Etatloch von 19 Milliarden Mark auf. 3,4 Milliarden will Blüm nun beisteuern, indem er die Arbeitslosenhilfe „reformiert“. Schon heute ist gesetzlich festgelegt, daß die Arbeitsämter alle drei Jahre die Höhe der Arbeitslosenhilfe neu errechnen sollen. Praktiziert würde dies, so wetterte Blüm noch im Sommer, nur äußerst selten. Aus der individuell zu prüfenden Regelung, die das Arbeitsförderungsgesetz (AFG) derzeit noch vorsieht, soll künftig eine pauschale werden, festgelegt in einem eigens geschaffenen Arbeitslosenhilfegesetz.

Jährlich, so sieht es der Entwurf des Arbeitsministers nun vor, soll das Bemessungsentgelt für die Arbeitslosenhilfe um fünf Prozent gekürzt werden. Anspruch auf eine Arbeitsbeschaffungsmaßnahme (ABM) sollen künftig nur noch Langzeitarbeitslose haben, die länger als ein Jahr erwerbslos sind. Bisher konnten Erwerbslose nach sechs Monaten Arbeitslosigkeit in solche Maßnahmen vermittelt werden.

Vorgesehen ist außerdem die Streichung der originären Arbeitslosenhilfe und die verstärkte Erfassung des Vermögens von Arbeitslosen. Die letzten beiden Vorhaben wurden ebenfalls aus dem AFG ausgegliedert und sollen künftig im Asylbewerberleistungsgesetz verankert werden.

„Rutschbahn in die Sozialhilfe“

Von gesetzgeberischer Logik kann hier wohl keine Rede mehr sein. Das Asylbewerberleistungsgesetz, inklusive der beiden Arbeitslosenhilferegelungen, soll schon zum 1. Januar 1996 in Kraft treten, ist jedoch zuvor im Bundesrat zustimmungspflichtig. Die beabsichtigte pauschale Kürzung der Arbeitslosenhilfe hingegen nicht. Sie soll am 2. November im Kabinett verabschiedet werden und zum 1. April nächsten Jahres in Kraft treten.

Eine ledige Erwerbslose, die zur Zeit monatlich 1.008 Mark Arbeitslosenhilfe bezieht, muß damit rechnen, daß sie 1997 nur noch 975 Mark Arbeitslosenhilfe erhält. Ein Jahr später reduziert sich der Betrag dann schon auf rund 940 Mark monatlich. Betroffen sind von den geplanten Kürzungen knapp eine Millionen Menschen. Im September 1995 bezogen insgesamt 981.060 Personen in Deutschland Arbeitslosenhilfe, davon 653.175 in Westdeutschland, 328.885 in Ostdeutschland. Durchschnittlich erhielten Erwerbslose in den alten Bundesländern monatlich 1.008 Mark Arbeitslosenhilfe, in den neuen Bundesländern 783 Mark.

Einen immensen Unterschied macht es aus, ob die Erwerbslosen männlich oder weiblich sind. Frauen mußten in Westdeutschland mit einer durchschnittlichen Arbeitslosenhilfe von 819 Mark monatlich auskommen, in Ostdeutschland mit ganzen 726 Mark. Damit liegt die Höhe der Arbeitslosenhilfe im Schnitt unter dem Existenzminimum, das für die Berechnung der Sozialhilfe verbindlich ist. Denn dies liegt für Ledige bei gut 1.000 Mark im Monat.

Über die Hälfte (51,4 Prozent) der EmpfängerInnen von Arbeitslosengeld oder -hilfe erhielten in Westdeutschland Anfang 1995 monatlich weniger als 1.200 Mark, jeder zwölfte unter 600 Mark. Die geplanten Kürzungen, so die sozialpolitische Sprecherin der Bündnisgrünen, Marie-Luise Beck, „werden die Rutschbahn in die Sozialhilfe verstärken“. Immerhin bezogen schon im April 1993 283.000 Erwerbslose zusätzlich zu den Leistungen der Bundesanstalt für Arbeit noch Sozialhilfe. Auch der Präsident des Deutschen Städtetages, Gerhard Seiler, befürchtet eine wachsende Zahl von SozialhilfeempfängerInnen. Sein Augenmerk richtet sich natürlich auf Städte und Gemeinden und die dort steigenden Kosten: „Das können die Kommunen mit sinkenden Einnahmen nicht mehr leisten“, erklärte er gestern.

Zudem befürchtet Marie-Luise Beck, daß mit der Kürzung der pauschalen jährlichen Arbeitslosenhilfe außertariflichen Beschäftigungsverhältnissen Tür und Tor geöffnet wird. Auch Thomas Münch, Mitarbeiter des Kölner Arbeitslosenzentrums, sieht diesen Trend. „Blüm sagt doch selbst, es geht ihm darum, die Tariflandschaft zu deregulieren.“ Arbeitslose sollen seiner Meinung nach künftig dazu gezwungen werden, unter Tarif und unterhalb der eigenen Qualifikation zu arbeiten. „Und in dieses Konzept paßt die jährliche Kürzung der Arbeitslosenhilfe ganz vorzüglich.“ Die Pläne des Arbeitsministers sind seiner Meinung nach „menschenverachtend und zynisch“. Karin Flothmann