Im Dienste der Empfangsbereitschaft

Antennen, meterweise Lutscher, Barbiepuppen und Geschützreinigungsschrubber: In seiner „Unbeständigen“ Ausstellung sicherte das Werkbund-Archiv Selbstgebasteltes aus sowjetischen Kasernen in und um Berlin  ■ Von Barbara Häusler

Eine ist rund. Aus angelaufenem Kupferdraht, sorgfältig geflochten, wirkt sie wie ein in Würde gealterter Obstkorb. Eine andere sieht aus wie ein Kuchengitter, auf das Ausstechförmchen aus Aluminiumblech aufgeschweißt wurden. Das hört sich befremdlich an, doch man erkennt sofort, was man da vor sich hat: Antennen, Marke Eigenbau.

Sie sind zwei von rund fünfundzwanzig mehr oder weniger aufwendig aus Drahtresten, Eisenblechen und -stäben zusammengebastelten Exemplaren, die in verlassenen Kasernen der Sowjetarmee in und um Berlin gefunden wurden – und dort samt und sonders im Dienste der Empfangsbereitschaft standen. Die runden für Rundfunk-, die rechteckigen für Fernsehempfang, die kleinen für Funk.

Eingesammelt hat sie das Werkbund-Archiv und präsentiert sie nun – nebst weiteren Fundstücken aus dem Alltagsgebrauch der sowjetischen Soldaten – im Rahmen seines Projekts Unbeständige: Ausstellungen, in denen immer neue Sammlungskomplexe aus den Depots geholt und gezeigt werden. „Sichern unter: Funkantenne? Sowjeterbe? Kunstobjekt?“ klingt wie ein Arbeitstitel – und ist auch einer.

Denn die gezeigten Objekte changieren zwischen ebendiesen Bedeutungsebenen: Zunächst sind sie einfach, was sie sind, nützliche Dinge nämlich. Sie definieren sich aber auch dadurch, wie und wo sie gefertigt, benutzt und zurückgelassen wurden: Lebensspuren einer Besatzungsmacht. Und aus ihrem ursprünglichen Benutzungszusammenhang herausgerissen, in ihrer musealen Präsentation, entwickeln sei eine eigene ästhetische Aura, die das bloß Nützliche mühelos hinter sich läßt.

Zum Beispiel der Antennenwald. Sinnfällig sind die – allesamt an zusammengestückelten Dachlatten befestigten – Modelle auf abgesägte Baumstämme montiert. Jedes für sich eine Skulptur, alle zusammen (fast) eine Installation. Im Verbund mit der ebenfalls vorläufigen Präsentation der Bestände westlicher Haushalts- und Elektrogeräte entsteht ein nützlicher Kontrast: Bevor man den Raum mit dem Antennenwald betritt, passiert man in schöner Unübersichtlichkeit gestapelte Warenwelten aus Kaffeemühlen, Plattenspielern, Nachttischlämpchen etc. pp. Hier industriegefertigte Perfektion, dort rostige Recycling- Wirtschaft – die aber letztlich ebensogut vernetzt wie jede glänzende Zimmerantenne und deren morbider Charme uns rührt und irgendwie gefällt.

Haushaltshilfen aus Kriegsgerät

Das gilt auch für die aus Kriegsgerätteilen und sonstigen zweckentfremdeten Materialien hergestellten Alltagsgegenstände. Um sie zu sehen, muß man durch den Raum, der die serielle Massenproduktion des Westens – ebenfalls vorläufig – dokumentiert. Hier hängen meterweise Lutscher und Barbiepuppen von der Decke, eingeschweißt in endlose Folienschlangen.

Die Kasernen-Fundstücke hingegen sind jedes für sich ein Einzelstück. Kleiderbügel, aus 8-Millimeter-Rundeisen geschweißt oder aus einem gelbgrüngestreiften Starkstromkabel gebogen. Harken, aus Winkeleisen und in unregelmäßigen Abständen aufgeschweißten Rechenzinken. Der Feuermelder, ein rotgestrichener ehemaliger Feuerlöscher, der mittels angeschweißter Eisenvorrichtung aufgehängt wurde, um im Brandfall daraufzuschlagen, damit Lärm entsteht.

Aber es gibt auch Komplizierteres: den ehemals im Boden einzementierten Stiefelreiniger aus zwei mit den Borsten zueinandergewandten Besen, zwischen denen die Soldaten ihren Schuh hin- und herbewegen konnten. Oder das Bohnergerät mit einem Rahmen aus Winkeleisen, in den sechs Geschützreinigungsschrubber eingeschoben sind, die ihrerseits mit dem Stoff eines sowjetischen Militärmantels zu einer Bohnerfläche benagelt sind; als Gewicht dient ein Panzerkettenglied.

Auffällig und durchgängig liebevoll eingesetzt ist die Farbgestaltung: Ein Besenstiel aus grob gehobeltem Holz ist rot lackiert, ein Blumenständer aus Eisenrohr im Birkendesign bemalt, und die aus Moniereisen zusammengestückelten Hanteln sind giftgrün.

Überhaupt die Sportgeräte: Schon 1993 hatte Raffael Rheinsberg in einer Ausstellung improvisierte Hanteln und Gewichte aus Getriebeteilen und Gerüstzargen präsentiert, die er in einer Potsdamer Kaserne gefunden hatte. Hier ist nun etwa eine Hebegewichts- Version aus einem zwischen zwei Panzerabschleppösen geschweißten Eisenrohr zu sehen. Und alle sind bemalt, in den dominierenden Farben Rot, Blaugrau und einem hellen Türkisblau, das einen unwillkürlich an eine alte Küche denken läßt.

Die Ausstellungsmacher weisen vorsorglich darauf hin, daß diese Ansammlung natürlich nicht den technischen Standard der Roten Armee repräsentiert. Auf diese Idee kommt wahrscheinlich keiner. Und aus der offensichtlichen Mangelverwaltung blitzen Witz, Erfindungsgeist und Improvisationstalent auf – bricolage. So wirkt denn auch der selbstgebundene Reisigbesen nicht wie ein Notbehelf, sondern fast schon traditionell.

Und doch, Bricolage-Ästhetik hin, skurrile Handwerker-Genialität her: Ob das auch ehemalige Sowjetrekruten, die heute als Touristen den Gropiusbau besuchen, goutieren können – man kann es sich nicht recht vorstellen.

„Fundstücke aus Sowjet-Kasernen“, bis 18.2.1996, Werkbund- Archiv im Martin-Gropius-Bau, Stresemannstraße, Kreuzberg