Helden: Lehrerlyriker Von Claudia Kohlhase

Lehrerlyriker sind Lehrer, die auch Lyriker sind oder umgekehrt. Es ist jetzt hinfällig zu überlegen, ob Lehrerlyriker zuerst Lehrer und dann Lyriker, oder zuerst Lyriker und danach Lehrer sind – Hauptsache, sie sind beides, das ist ja schon mehr als genug. Es ist auch hinfällig zu überlegen, was besser ist, Lehrer oder Lyriker, oder ob ein Lehrerlyriker nicht etwas doppelt gemoppeltes ist und also eins zuviel. Aber da wäre dann wieder zu überlegen, welches jetzt das Überflüssigere wäre, der Lehrer oder der Lyriker, und das ist im Grunde nicht entscheidbar. Es genügt die Tatsache, daß es Lehrer gibt, die mit dem eigenen Vermerk „und Lyriker“ in der Welt sind.

Lehrerlyriker schauen auf jeden Fall, auf jeden Fall, mit besonderen Augen überallhin, weil eben überall das Besondere wartet. Das zeichnet Lehrerlyriker auch entschieden gegenüber Systemtechnikern aus, die nur auf ihr System starren und davon kurzsichtig werden. Wobei nicht gesagt ist, daß Lehrerlyriker nicht auch kurzsichtig sein können, aber meistens sind sie weitsichtig, eben wegen des Besonderen, das überall wartet, vor allem etwas weiter weg. Naheliegendes sieht ja jeder. Obwohl es Lehrerlyriker gibt, hat die Welt sie nicht wirklich verdient, darum hat der Blick eines Lehrerlyrikers manchmal etwas Loses, Unangestelltes. Weswegen es gut ist, daß er vormittags ein festes Auskommen hat. Vormittage sind sowieso weniger für Lyrik geeignet, das paßt dann also auch wieder.

Nachmittags renovieren Lehrerlyriker durchaus ihre kleinen Runzelhäuser auf dem Land, denn Lehrerlyriker sind komischerweise praktisch und sehen in Daunenwesten richtig sportlich aus. Aber während sie die Blende vor die untere Herdschublade nageln und mit einem Ruck verrankte Glyzinien vom Fensterbrett reißen, ruhen ihre Augen natürlich trotzdem immer mal wieder auf Gästekatzen oder dem unentwegt untergehenden Tag. So sehr aber Lehrerlyriker auch auf die Welt kucken – die Welt kuckt so oft nicht zurück! Solange streichen Lehrerlyriker ihre Balken, sogar mit übermäßig großem Radioton im Hintergrund. Lehrerlyriker haben von ihren Eltern übrigens die geblümte Kaffeekanne mitbekommen, die sie mit gebührender Ehre behandeln, obwohl sie keinen Kaffee mögen. Lehrerlyriker sehen schmerzhaft deutlich, daß andere nicht soviel Respekt für die Dinge aufbringen und nehmen darum eine dreifache Respektleistung auf sich, stellvertretend für dich und mich.

Sie achten eben auf Bedeutung, wo andere nur vor sich hin wimmeln. Sie haben Erkenntnisse statt oberflächlicher Vergnügungen und sind Teil eines Prozesses, der niemals aufhört, natürlich auch nachts nicht. Nachts sind zum Beispiel alle Sonnenblumen grau, hat das eigentlich schon mal jemand bemerkt? Nein, das bemerken nur Lehrerlyriker in den Stunden, bevor die Schüler kommen. Zusammengefaßt könnte man sagen, das Leben bzw. Sonnenblumen, Kaffeekannen und auch sonst alles ist einfach gesehener durch Lehrerlyriker. Vermutlich wegen dieser dauernden Präsenz im Grundsätzlichen sind Lehrerlyriker oft etwas steif und tragen vielleicht deswegen die wärmende Daunenweste.

Lehrerlyriker haben Angst, daß man von ihnen schlecht denkt. Komischerweise denkt man das gar nicht. Aber nur Lehrer hätte auch gereicht.