Tröstliches Öl des Weihrauchs

Opulente Rock-Metaphorik, der jugendmusikalischen Menschheit zweckfrei zugewandt: Die spanischen Heroes del Silencio auf Tour  ■ Von Thomas Winkler

Von den Leuten, die ich kenne, kennen nur wenige die Heroes del Silencio beim Namen. Und die finden sie doof, oder mindestens belanglos. Trotzdem passiert es immer wieder auf Parties, daß sich zwischen die einschlägigen Rockklassiker und hiphoppende Neuerwerbungen des gastgebenden Haushaltsvorstands ein Lied der gar nicht so stillen Helden schleicht. Was ist dran an ihnen, daß sie hierzulande, auch wenn kein Mensch ihre Texte versteht, von ihren Platten teilweise sogar mehr absetzen als in ihrer Heimat, daß sie hier schon mit zwei goldenen Schallplatten verziert wurden?

Vor dem Interviewtermin entspinnt sich ein Gespräch mit den Vertretern der Plattenfirma über den aktuellen Zustand des Groupietums, von dem ich naiverweise glaubte, daß es längst ausgestorben sei. Als Promoter müsse man auch heute noch sehr vorsichtig und um Geheimhaltung bemüht sein, denn den Frauen wäre kein Trick zu billig, erfahre ich. Und unsere Freunde aus Zaragoza seien sehr beliebt beim anderen Geschlecht.

Die Begeisterung hat etwas Archäologisches, denn begegnet man den Heroes del Silencio, begegnet man einer aussterbenden Art. Sie lümmeln, die cowboystiefelbewehrten Füße über die Sessellehne, gelangweilt in einem Hotelzimmer in der Mitte Berlins. Zwar sehen sie nicht so aus, als würden sie demnächst die Zimmereinrichtung zu Sägespänen verarbeiten, aber von Johnny Depp hätte das ja auch niemand erwartet. Die Klimaanlage rauscht, und die Hemden stehen offen bis zum Bauchnabel. Sänger Enrique Bunbury lächelt so jungenhaft abwesend unter seinen wirren Haaren, daß mir sofort der Song „Opio“ einfällt. In Indien hätte er Opium genommen, erzählt Bunbury, aber prinzipiell „sind Drogen für die Band nicht wichtig“. Sicherlich, ein Joint hier und da, und „manchmal fühlt man sich großartig mit Opium, aber es gibt immer eine gute und schlechte Seite an Drogen.“ Sowieso.

Dabei hatte ich den Text eher religiös gedeutet wegen der Zeile „Das Öl des Weihrauchs wird unser Trost sein“. Aber da hatte ich wohl was falsch verstanden: „Spanien hat dieses katholische Image, aber das trifft hauptsächlich auf die ältere Generation zu.“ Ob denn wenigstens seine symbolhafte Sprache aus der tiefverwurzelten christlichen Tradition seiner Heimat komme? Auch da schüttelt Bunbury nur sanft den Kopf: „Ich arbeite mit Metaphern, um nicht so nackt dazustehen.“

Aber woher kommt dann dieses Herumreden, dieses Sich-Drücken vor klaren Aussagen? „Ich sage die Dinge nicht sehr klar, weil sie mir selbst nicht sehr klar sind.“ Sicherlich könne man einen Song wie „Iberia Sumergida“ – den Zeilen schmücken wie „Ich glaube nicht an die Rationalität der Mehrheit“ – politisch verstehen, wenn ich das denn unbedingt wolle, will mir sein milde grinsendes Babygesicht wohl sagen. „Aber wir sind keine politischen Menschen, wir haben keine Ahnung von Politik.“ Vielleicht sind die Heroes del Silencio die einzige Band der Welt, bei der es am wenigsten ergiebig ist, mit dem Sänger, Texter und Kopf zu sprechen.

Der Rest scheint die Meinung des Chefs so eindeutig nicht zu unterschreiben. Die neue Platte sei nicht umsonst „Avalancha“ betitelt, was für Lawine steht. Und die wiederum dient „als Symbol für Bewegung“, meint Bassist Joaquin Cardiel, „die Leute sollen ihren Arsch bewegen, sie sollen kämpfen“. Und da kommen wir der Sache schon näher.

„Wir sind eine Rockband“, macht es Schlagzeuger Pedro Andreu ganz schlicht, und er sagt es ohne jede Ironie. Dort unten, auf der Iberischen Halbinsel, ist es „immer noch sehr hart, eine Rock 'n' Roll-Band zu sein“. Eigentlich seien sie die einzige Rockband, die es über einen lokalen Status hinaus geschafft hätte. Der Rest wie Celtas Cortos oder Seguridad Social wäre ja wohl eher Pop, und mit der ländlichen Folklore hätten sie's auch nicht so.

Ungeachtet eines in den 80ern recht aktiven Undergrounds in Barcelona und Madrid hinke Spanien „natürlich mindestens zehn Jahre hinterher“, weil unter Franco Rockmusik „nahezu verboten“ war. Die wenigen Platten, die während der Diktatur erschienen, wurden zensiert. Wir Deutschen hier, wir hätten da mehr Glück gehabt, klagen sie ein wenig, aber natürlich sind sie auch ein bißchen stolz, daß ausgerechnet sie nun den wahren Geist des Rock 'n' Roll ins bürgerlich gewordene Deutschland zurückbringen.

Für ihren überraschend großen Erfolg hierzulande finden aber auch sie keine Erklärung: „Spanisch klingt gut für Deutsche“, glaubt Pedro. Daß ihre oft beschworene Ähnlichkeit mit den frühen U2, vor allem die elegisch wabernden Breitseiten der Gitarre, dazu beitragen, das könne schon so sein, aber eigentlich gäbe es da gar keine Ähnlichkeiten, die Technik von Juan Valdivia sei doch eine ganz andere als von The Edge – und ehe man sich's versieht, hat man eine Diskussion auf „Fachblatt“-Niveau laufen.

So werden sie auch weiter unermüdlich auf Bühnen steigen, bis sie nicht mehr können, in Südamerika volle Fußballstadien zum Wahnsinn treiben („In Mexiko werden die völlig verrückt bei Konzerten. Da möchte ich nicht im Publikum stehen.“), an die revolutionäre Macht des Rock 'n' Roll glauben, sich noch größere Verstärker zulegen und die guten alten Werte hochhalten. Und ich setze mich in meinen kürzlich erworbenen Sitzsack, so ein Teil, das in den 70er Jahren in keinem Haushalt fehlen durfte. Ich lege „Avalancha“ ein, schließe die Augen und halte ein kleines, entspannendes Nickerchen. Wenn ich wieder aufwache, bin ich ganz durchgeschwitzt, weil der Sack mit Styroporkügelchen gefüllt ist.

Heroes del Silencio: „Avalancha“ (Spin Records/EMI)

Tour: 27.10. Köln, 30.10. Neu-Isenburg, 31.10. München, 2.11. Fürth