: Der Liebhaber der Uckermark
Matthias Platzeck findet Energiesparen schön, die brandenburgische Küche lecker und sieht Naturschutz als Sozialleistung. Von einem, der gerne Umweltminister ist ■ Von Ute Scheub
Man muß in Deutschland lange suchen, um einen Politiker zu finden, der aus seiner Lust an der Politik kein Geheimnis macht. Der sein Gebiet mit allen Sinnen beackert und auch noch offenherzig davon spricht: Naturschutz kann erotisch sein.
Matthias Platzeck, mittlerweile 41, sitzt in seinem Amtszimmer und läßt sich ein Potsdamer Bier kommen. Er räkelt sich und schaut durchs weit geöffnete Fenster in den Wald, der das Ministerium für Umwelt, Naturschutz und Raumordnung umschließt. „Ein seelenpflegender Blick“, freut sich der Minister und gießt sein Glas voll. „Ich liebe mein Land“, sagt er. „Zur Uckermark habe ich ein quasi erotisches Verhältnis. Die ist mit ihren Hügeln eine richtige Busen-und-Po-Landschaft. Und daraus entsteht Lust und Kraft.“ Matthias Platzeck lebt und lacht gern, er hat Spaß an seiner Arbeit, er hat „ein gutes Verhältnis zur Macht“ und geht „unheimlich gern essen“. Ein gelernter Hedonist.
„Eine richtige Busen- und-Po-Landschaft“
Daß die preußisch-puristischen BrandenburgerInnen ihm dieses Genießertum nicht verübeln, daß er in diesem sandigen „Flachland der Gefühle“ (Peter Ensikat) vielmehr zu den beliebtesten PolitikerInnen gehört, verdankt er unter anderem seiner geradezu konservativ anmutenden Bodenständigkeit. Diese demonstrative Heimatliebe, gepaart mit einem Zupackenkönnen, daß seinen BesucherInnen nach einem Händedruck die Hand abfällt, all das kommt bei einer bäuerlich geprägten Bevölkerung gut an.
Und seine Aufrichtigkeit: Der Minister weigert sich, den Leuten nach dem Munde zu reden. „Die Politikverdrossenheit rührt auch daher, daß man unhaltbare Dinge verspricht. Besser man läßt sich gleich auspfeifen.“ Was trotz seiner Popularität nicht selten passiert, denn mit Arbeitsplätzen pflegt ein Umweltminister nicht um sich zu schmeißen. Ehrlichkeit findet er wichtig, denn in der DDR hat er genug Lügen gehört. Als Mitarbeiter des Instituts für Lufthygiene in Chemnitz erlebte er, daß der Sozialismus keine Luftverschmutzung kennt, der Wald im Erzgebirge aber aus unerfindlichen Gründen tot war.
BewohnerInnen eines ehemals besetzten Hauses in Westberlin erinnern sich noch lebhaft an den „legendären Anarcho-Auftritt“ von Platzeck auf einem ihrer Treffen. „Schwarz und heftig“ sei er damals gewesen, der jetzige Herr Minister, erzählt eine, die dabei war. „Mit seinem dunklen Bart und dem wilden Blick sah er aus wie der Pariser Kommune entflohen. Er brachte eine Plastiktüte voller Bierflaschen mit und erzählte uns, wie er und seine Mitstreiter von dieser Potsdamer Bürgerinitiative ,Argus‘ die Stasi an der Nase herumgeführt haben.“ Damals war der Dachboden noch duster, die Atmosphäre noch konspirativ und waren Ost- West-Freundschaften noch schnell geschlossen. Und der Besucher habe gewirkt: vor allem durch seine „irgendwie charismatische und erotische Ausstrahlung“.
Anders als Joschka Fischer, dessen Gesicht proportional zu seiner Machtfülle zunimmt, ist sich Matthias Platzeck in fünfjähriger Ministertätigkeit sichtlich treu geblieben. Das Outfit eines DDR-Oppositionellen – kurzes Haar und Vollbart – hat er ebenso beibehalten wie seine freundliche Kollegialität. Die Mehrheit seiner MitarbeiterInnen duzt ihn, und sein bezopfter Fahrer Thomas Kropp bereitet Termine vor, während der Minister die Potsdamer Dienststellen mit dem Fahrrad abklappert. Auch privat lebt der geschiedene Vater dreier fast erwachsener Kinder – „mal haben sie hellgrüne, mal dunkelblaue Haare“ – eher bescheiden.
Verliebt hat er sich nicht nur in seine Freundin. „Verliebt“, sagt er, habe er sich auch „in die Fähigkeit, kleine Schritte zu machen“. Eine Untertreibung, was ihn persönlich betrifft: Die ereignisreichen Jahre 1989 und 1990 katapultierten den DDR-Basiskämpfer an die Macht. Wiewohl nur Mitbegründer der „Grünen Liga“ und kein Parteimitglied, fungierte der Umweltingenieur für die Grünen nacheinander als Minister ohne Geschäftsbereich im Kabinett Modrow, als Volkskammer- und als Bundestagsabgeordneter. In Bonn, erzählt er und nimmt einen tiefen Blick aus dem Wald, war es ihm jedoch „zu steril“; er sehnte sich nach seinen „schrägen und krummen“ Brandenburg zurück.
Als Spitzenkandidat von Bündnis 90 in den Brandenburger Landtag gewählt, wurde er Ende 1990 zum Umweltminister der „Ampelkoalition“ gekürt. Mit den fundamentalistischen Brandenburger Grünen kam er jedoch nicht klar. Später, als ein Untersuchungsausschuß Manfred Stolpes Stasi-Vergangenheit durchleuchtete, überwarf er sich auch mit Bündnis 90 und seiner Abspaltung, dem „Bürgerbündnis“ von Günter Nooke. Dessen Forderung, Stolpe solle zurücktreten, fand Platzeck „nicht fair“: Auch in seiner Bürgerinitiative Argus „war damals bekannt, da gibt es eine Telefonnummer, wenn wir Schwierigkeiten kriegen. Uns war allen klar, daß Manfred Stolpe dann nicht mit dem lieben Gott spricht.“ Der Ministerpräsident wußte soviel Loyalität zu schätzen und holte den damals Parteilosen nach den Neuwahlen im Herbst 1994 ins Kabinett zurück. Nötig wäre das nicht gewesen: Die SPD-Mehrheit bestimmt seitdem allein, wo es langgeht in Brandenburg.
Im Juli dieses Jahres wurde Platzeck SPD-Mitglied. Der Hauch von Opportunismus, der diesen Beitritt umwehte, ist im Verwesungsgeruch aus der SPD-Baracke schnell untergegangen. „Ich habe die Krise kommen sehen“, sagt er ein wenig eitel. Trotz oder gerade wegen dieser Krise wolle er seine Partei davon überzeugen, daß „Naturschutz eine Sozialleistung und Ökologie Langzeitökonomie ist“.
„Zu leben, ohne kaputtzu- machen, ist aufregend.“
Das ist einer von Platzecks Lieblingsgedanken, den er – „es ist die Aufgabe des Jahrhunderts, Naturschutz als Sozialleistung zu begreifen“ – auch vor den örtlichen Honoratioren im Spreewaldstädtchen Vetschau vorträgt. Die Sonne scheint, das Herbstlaub glüht, ein Informationszentrum des Naturschutzbundes über den Weißstorch ist einzuweihen, finanziert von seinem Ministerium und dem Otto-Versand. „Wir schauen nicht nur auf unsere Bilanzen“, sagt der Vertreter der Michael-Otto-Stiftung. „Wenige Tiere sind so exhibitionistisch veranlagt“, sagt der Minister über die Störche auf den Niederlausitzer Dorfdächern. Er redet frei, aber unter diesen steifen Männern bleibt auch seine Körpersprache verhalten. Er faltet die Hände und findet es bedauerlich, daß „Versammlungen von Naturschützern fast immer Männerveranstaltungen“ sind, und Männer „immer namentlich, Frauen aber nur in Summe genannt werden“.
Die Umweltbewegung wird mehrheitlich von Frauen, der traditionelle Naturschutz aber hauptsächlich von Männern getragen. Auch Minister Platzeck hat jede Menge Freunde unter den Wild- und Waldschützern. Den Präsidenten des Naturschutzbundes, Jochen Flasbarth, umarmt er in Vetschau so stürmisch, daß ihre Köpfe beinahe aneinanderknallen. Der Naturschutzbund wiederum hat den Minister schon 1991 mit seinem Umweltpreis behängt, der Lina-Hähnle-Medaille. Seinen bundesweit guten Ruf hat sich Platzeck vor allem durch das Brandenburger Naturschutzgesetz erarbeitet, die Ausweisung vieler Schutzgebiete und besonders den Naturpark Unteres Odertal an der polnischen Grenze.
Dort, so hofft er, werde der Tourismus den bitter nötigen Aufschwung in die Region bringen. Die Einpassung der menschlichen Kultur und Technik in die Natur könne „sehr viel Spaß“ machen. Aufregend seien auch die diversen dörflichen Initiativen, die einheimische Küche Brandenburgs wiederzuentdecken, die Zutaten aus dem Umland zu besorgen und AusflüglerInnen mit den bodenständigen Genüssen in die Gaststätten zu locken. Platzeck und sein Fahrer haben auf ihren Diensttouren jedenfalls ihren Spaß daran, Dorfgaststätten mit besonders leckerem Essen zu erkunden. „Zu leben, ohne kaputtzumachen, kann unheimlich aufregend sein, richtig erregend.“
Auch Energiesparen, findet Platzeck, „ist schön“. Und dennoch verteidigt er den Beschluß seiner Regierung, daß von zwölf Tagebauen in der einstigen DDR- Energieregion Lausitz drei weitermachen dürfen. Nein, sagt er etwas gequält, zur Braunkohle habe er „kein Liebesverhältnis“, trotz hügeliger Abraumhalden. Aber der „Umstrukturierungsprozeß“ müsse „sozial beherrschbar“ bleiben. „Ich sage das im Bewußtsein, daß jede Tonne abgebaute Braunkohle eine zuviel ist.“
Auch den Kabinettsbeschluß, Sperenberg als Standort des Berliner Großflughafens zu favorisieren, trägt er mit. Und dennoch ist der Sprecher der Bürgerinitiative gegen den Großflughafen, Carsten Preuß, gut auf den Umweltminister zu sprechen: „Er ist das Maximum, was wir momentan kriegen können.“ Allerdings nehme er die Kritik von Umweltverbänden „zu persönlich“ und gebe sie im Kabinett nicht ausreichend weiter. Tatsächlich ist dem Minister die Aussicht auf das Milliardending nicht geheuer. Die Einschränkung des Flugverkehrs mittels Kerosinsteuer und schnelleren Zugverbindungen wären ihm lieber. Und eine Frage wie die, ob die Menschen am Berliner Flughafen Schönefeld geschützt werden müßten oder die Landschaft in Sperenberg, sei „nie richtig zu entscheiden“.
Mag sein, daß in einem Land mit hoher Arbeitslosigkeit nicht viel mehr drin ist. „Ein grüner Pionier“, glaubt eine Frau aus der „Grünen Liga“, „hätte in der Regierung keine Chance gehabt.“ Platzecks Sache aber sei der Kompromiß, die Harmonie und der Ausgleich der Interessen – und deswegen munkele die Lokalpresse schon, „daß er vielleicht eines Tages den Stolpe beerbt“.Vom Anarcho zum Landesvater? Einstweilen träumt Matthias Platzeck nur davon, „in zehn Jahren in Potsdam eine Kneipe zu eröffnen: mit ganz viel gutem Essen“.
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