Zeitung veröffentlicht Bjerregaards Tagebuch

■ EU-Umweltkommissarin konnte nur noch die Buchversion stoppen

Kopenhagen (taz) – Am Mittwoch nachmittag hatte die dänische EU-Umweltkommissarin Ritt Bjerregaard das für kommende Woche geplante Erscheinen ihres „Tagebuchs einer Kommissionärin“ gestoppt. Gestern konnte es in Dänemark jeder für 8,50 Kronen (2,10 Mark) am Zeitungskiosk kaufen.

Die Kopenhagener Tageszeitung Politiken präsentierte es als über Nacht schnell produzierte Sonderbeilage in offenbar vollständiger Fassung. An den Kiosken bildeten sich lange Schlangen interessierter DänInnen. Anstatt sich über die sonst nie erreichte Auflage von 200.000 Exemplaren zu freuen, beklagte Ritt Bjerregaard diese Verletzung ihres Publizitätsrechts und kündigte rechtliche Schritte an.

Politiken hatte das Tagebuch zwei Tage vorher als „Dummheit einer der spannendsten Politiker, die wir haben“, verurteilt. Chefredakteur Toeger Seidenfaden begründete die ungenehmigte Veröffentlichung mit der Tatsache, daß durch die bisherigen Medienveröffentlichungen Teile des Buchs bereits bekannt waren und es deshalb auch nach dem Stopp der Herausgabe durch die Verfasserin publizistische Pflicht sei, der Öffentlichkeit den gesamten Text zu präsentieren. Es dürfe keine offenbar durch Druck auf die Verfasserin hervorgerufene Selbstzensur hingenommen werden.

Inhaltlich hält der nun veröffentlichte Gesamttext das, was die bislang bekanntgewordenen Auszüge erwarten ließen: Einige neue, aber nicht furchtbar aufregenden Interna über das Innenleben der EU und der Kommission.

In Kopenhagen wurde am Donnerstag offen spekuliert, ob der Politiken-Coup wirklich ohne Willen und Mitwirkung von Ritt Bjerregaard möglich war. Die Politikerin hatte sich in ihrer politischen Laufbahn nämlich bislang noch von keinem ihrer „Chefs“ den Mund verbieten lassen. EU-Kommissionspräsident Jacques Santer wäre da eine Premiere gewesen. Reinhard Wolff