Luftbuchungen setzen sich durch

Waigel treibt blitzschnell 20 Milliarden Mark zur Deckung neuer Haushaltslöcher auf und setzt oppositionslos seinen Etat für 1996 durch  ■ Aus Bonn Hans Monath

Kaum war das 20-Milliarden- Loch im Bundesetat bekannt geworden, war es auch schon wieder gestopft: Mit einer simplen Auflistung angeblicher Einnahmequellen überzeugte Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) am Mittwoch die Regierungsmehrheit im Haushaltsausschuß davon, daß er die angeblich nicht vorhersehbaren Lücken schließen und die Neuverschuldung wie geplant auf rund 60 Millionen Mark begrenzen kann. Waigels Entwurf wurde gestern abschließend beraten und verabschiedet – und zwar erstmals ohne die Opposition. Die wollte das Hauruck-Verfahren nicht mitmachen: Grüne, SPD und PDS erschienen erst gar nicht zu den Schlußberatungen des Haushaltsausschusses, oder sie verließen die Sitzung, nachdem Waigel eine Vertagung zur detaillierteren Auflistung von Privatisierungserlösen abgelehnt hatte. „Unerträglich“ nannte SPD-Chef Rudolf Scharping dieses Vorgehen. Er warf der Koalition vor, sie habe die Öffentlichkeit lange Zeit „über die Entwicklung der tatsächlichen Finanzen getäuscht“.

Insgesamt 19,8 Milliarden Mark fehlen gegenüber Waigels ursprünglichem Haushaltsansatz für 1996: Das Finanzministerium nimmt 13 Milliarden weniger Steuern ein als geplant und muß 6,8 Milliarden Mark mehr für die Bundesanstalt für Arbeit und für Arbeitslosenhilfe ausgeben.

Decken will Waigel die Lücken unter anderem mit Einnahmen von 8,8 Milliarden Mark aus Privatisierungserlösen, darunter 4 Milliarden aus dem Verkauf von 43.000 Wohnungen und mehrere Milliarden aus dem Teilverkauf der Postbank. Auch Personalmittel für den öffentlichen Dienst (eine Milliarde) sind gestrichen.

Die Liberalen waren noch am Wochenende als strenge Ausgabenkontrolleure aufgetreten und hatten Waigel wegen der Milliardenlöcher heftig attackiert. Otto Graf Lambsdorff kündigte an, der Finanzminister komme an einem Haushaltssicherungsgesetz mit Eingriffen in Leistungsgesetze nicht vorbei. Die FDP-Haushaltsexpertin Ina Albowitz nannte Waigels Pläne, zur Deckung der Etatlücken den Verkauf von Postbank oder Lufthansa in den Etat einzusetzen, nicht seriös und sprach von „Luftbuchungen“.

Mitte der Woche aber waren FDP-Chef Wolfgang Gerhardt und Fraktionschef Hermann Otto Solms dann ganz auf Kanzlerlinie. Von einem Haushaltssicherungsgesetz wollten sie nichts mehr wissen. Prompt stimmten gestern auch die FDP-Mitglieder im Haushaltsausschuß Waigels Vorlage zu, die ein Volumen von 451,5 Milliarden Mark umfaßt. Anfang November soll der Haushalt im Plenum des Bundestages abschließend beraten werden. Bündnisgrüne und SPD wollen am heutigen Freitag über ihr weiteres Vorgehen beraten. Kommentar Seite 10