Untröstlichkeit

■ Mit „Die Grube“ geht die Radio Bremen-Produktion von Karl Fruchtmann weit über das „Sich–Erinnern“ hinaus

Es ist noch gar nicht so lange her, daß sich die omnipräsenten Guido Knoppe und Alfred Bioleks und Ulrich Wickerts und Jürgen Flimms – und wie sie alle heißen – an der TV-Generaloffensive „50 Jahre nach Kriegsende“ beteiligten, um „gegen das Vergessen“ an- zuschwatzen. Und fast hätte man bei all diesen gespreizten, lauten Selbstdarstellungs-Galas vergessen, daß es ein anderes Sich-Erinnern gibt: ein Sich-Erinnern, das nicht festlich, sondern schmerzhaft ist. Ein Sich-Erinnern, das innehält, anstatt sich angeberisch zu brüsten. Ein Sich-Erinnern, das auf Untröstlichkeit verweist, anstatt auf das Glück des unbeschadeten Davongekommen-Seins.

Vor dem Hintergrund des medienspektakelhaften „Gegen das Vergessen“ wirkt Karl Fruchtmanns Dokumentation „Die Grube“ wie ein Schock. Denn das Grundthema des Bremer Regisseurs, das sich durch seine ganze Arbeit zieht, ist das Verweisen – und das Beharren – auf Untröstlichkeit. Untröstlichkeit angesichts des millionenfachen Mordes an seinem Volk, den Juden. Die dokumentarischen Fernsehspiele „Zeugen“ (1981) und „Ein einfacher Mensch“ (1985) waren erschütternde Zeugnisse der Zerstörung, die Auschwitz in der Seele von Überlebenden hinterlassen hat. Mit der „Grube“ wendet sich Fruchtmann den Tätern zu: dem „Sonderkommando 4a“, das im August 1941 in Bjelaja Zerkow bei Kiew neunhundert erwachsene Juden und danach, als „ordnungsgemäße Restbeseitigung“ neunzig jüdische Kinder erschossen hat. Grundlage der szenischen Dokumentation sind die Vernehmungsprotokolle aus dem Prozeß, der 1962 gegen die Täter geführt worden ist: Aussagen, die in schauder- haft minuziösem Bürokratendeutsch das Morden als „technischen Ablauf“ rekonstruieren; Aussagen, die um Verständnis buhlen für die „unvorstellbare Nervenkraft“, die es gekostet habe, „diese schmutzige Arbeit durchzuführen.

Verkörpert von Schauspielern wie Ernst Jacobi, Peter Fitz, Christian Redl, Helmut Griem und Peter Simonischek, werden die Mörder und ihre Helfershelfer, die dieses Morden betrieben haben oder einfach geschehen ließen, zu furchterregend „normalen“ Menschen, die für das Monströse ihrer Schuld nur technokratische Phrasen haben. In Mittelpunkt aber stehen die neunzig Kinder – vom Baby bis zum Schulkind –, die damals durch ein „Versehen“ zunächst am Leben ge- blieben waren, gefangengehalten in einem Kellerraum, und schließ- lich, trotz der Beschwerden von protestantischen und katholischen Kriegspfarrern, wie ihre Eltern am Rand einer Grube erschossen wurden. Es sind die authentischen Filmaufnahmen, die Bilder dieser Kinder – apathisch oder verzweifelt weinend, hungrig, verdreckt, in Exkrementen kriechend, den Kalk von Wänden kratzend –, die einem das Blut in den Adern gefrieren lassen. Kinder – das geht aus der Rekonstruktion des „Verfahrens“ hervor -, deren Ermordung zwar keiner aktiv betreiben mochte, für deren Rettung aber auch niemand das entscheidende Wort gefunden hat.

Die Bilder dieser Kinder, konfrontiert mit der Sprache ihrer Mörder: Es ist ein Schock, der einem die Sprache verschlagen muß. Und all das besinnlich ritualisierte Reden „gegen das Vergessen“ wirkt angesichts der Fernsehspiel-Dokumentation „Die Grube“ wie besinnungslose Schwafelei.

Sybille Simon-Zülch

ARD, Sonntag 22.55 Uhr