Die Reform kann beginnen

■ Breite Zustimmung in Berlin findet der nordrhein-westfälische Vorschlag zur Erneuerung des Schulsystems. Bald Leistungslohn für LehrerInnen?

Die „Schule der Zukunft“, wie soll sie aussehen? Ein Bericht im Auftrag der Regierung Nordrhein- Westfalens hat die Diskussion um die Reform der Schule neu entfacht. Anfang Oktober präsentierte die 22köpfige Kommission ihre Studie der Öffentlichkeit. Von mehr Autonomie für die Schulen ist da die Rede. Sie sollen über ein eigenes Budget verfügen und auch in der Personalpolitik mehr mitzureden haben. Noten sollen schriftlichen Beurteilungen weichen. Die Schule soll künftig mehr Aufgaben im außerschulischen Bereich übernehmen. Und die berufliche Bildung soll der gymnasialen gleichgestellt werden.

Die Vorschläge der Kommission werden in den Bundesländern heftig diskutiert. In Berlin stießen die nordrhein-westfälischen Positionen insgesamt auf Zustimmung. „Wir sind positiv angetan“, sagte Sybille Volkholz von Bündnis 90/Die Grünen. „Ein fächerübergreifendes Lernen mit Kopf, Herz und Hand ist notwendig. Die Lernmethoden müssen so verändert werden, daß sie dem heutigen Lebensraum von Kindern entsprechen, die durch die Vielzahl von Medien gelernt haben, schnell Informationen aufzunehmen.“

Auch die Senatsverwaltung fühlt sich durch die Denkschrift bestätigt. „Denn seit 1996 bemühen wir uns, die Erziehungsaufgaben der Schulen zu stärken, zum Beispiel in puncto Gewaltbekämpfung“, sagt Ulrich Arndt, Staatssekretär der Senatsschulverwaltung. „Zudem dehnen wir die Autonomie der Schulen aus.“ An der Praxis der Autonomie freilich wird allenthalben Kritik geübt. Die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), ebenso wie der Philologenverband, der Landeselternausschuß Berlin und Bündnis 90/Die Grünen befürchten, daß den Schulen angesichts knapper Finanzen nur die Mängelverwaltung zugeschoben wird. Die Eigenverantwortung sei zu eng begrenzt, Eltern wie LehrerInnen hätten zu wenig Mitwirkungsmöglichkeiten.

Skepsis gibt es sowohl bei der GEW als auch beim Philologenverband gegenüber dem Vorschlag, daß LehrerInnen von den Schulen ausgewählt und leistungsbezogen entlohnt werden sollen. „Die Schulen können an der Personalauswahl teilhaben“, sagt der Berliner GEW-Vorsitzende Erhard Laube, „allerdings sehen wir die Gefahr, daß die Bildung unter dem Effizienzgesichtspunkt gestaltet wird. Zum Beispiel darf man nicht billigere Honorarkräfte anstatt LehrerInnen einstellen, um Geld für die Schulhofbegrünung zu haben“.

Die Berliner GEW, die Grünen und der Landeselternausschuß begrüßen die Forderung des NRW- Papiers nach schriftlichen Beurteilungen anstelle der Noten. „Es ist auch die Aufgabe von Schule, Kinder nach ihren individuellen Fertigkeiten und nicht nur objektiv in Konkurrenz zu den Mitschülern zu beurteilen“, meint Erhard Laube von der GEW. Der Philologenverband Berlin-Brandenburg meint dagegen, daß SchülerInnen und Eltern die traditionellen Noten bevorzugten, um die schulische Lage besser einschätzen zu können.

Einig sind sich alle darüber, daß berufliche und höhere schulische Bildung mehr verzahnt und durchlässiger gestaltet werden sollten. Berufliche und allgemeine Bildung müßten von der Gesellschaft endlich als gleichwertig anerkannt werden. Anja Dilk