: Ein Paradies in Bauklötzchenform
Schätze der Alhambra: Islamische Kunst aus Andalusien im Haus der Kulturen der Welt ■ Von Anne Winter
Die Alhambra, die Palastanlage der islamischen Herrscher Granadas, ist eines der berühmtesten architektonischen Kunstwerke der Welt. Mit ihren reichverzierten Wänden, den Säulengängen und luftigen Innenhöfen, den weitläufigen Gärten und Wasserspielen nahmen ihre Erbauer das Paradies auf Erden vorweg. Wer Granada nicht gesehen hat, hat nichts gesehen, sagt ein spanisches Sprichwort. Um die „Schätze der Alhambra“ zu betrachten, brauchen die Berliner in den nächsten vier Monaten allerdings nur die gleichnamige Ausstellung im Tiergarten zu besuchen. Auf drei Etagen zeigen das Haus der Kulturen der Welt und das Museum für Islamische Kunst fast 180 Exponate aus dem 6. bis 16. Jahrhundert, ergänzt durch Beispiele der hiesigen Alhambra-Rezeption.
Der überwiegende Teil der Kunstwerke stammt als Leihgabe aus Granada. In Andalusien ist man mittlerweile stolz auf das arabische Erbe, das sich ein halbes Jahrtausend, nachdem der letzte Nasridenherrscher von der Alhambra vertrieben wurde, auch touristisch gut vermarkten läßt. Die 800 Jahre währende Herrschaft der Muslime auf der Iberischen Halbinsel sei „eine Epoche geglückter Begegnung zwischen islamischer, jüdischer und christlicher Kultur“ gewesen, behauptet auch der Ausstellungskatalog, die Alhambra als kulturübergreifendes Symbol „ein utopisches Element für die Zukunft“. Schön wär's ja, wenn Spanien seine heutigen maghrebinischen Einwanderer auch als multikulturelle Bereicherung begrüßen würde, aber hier geht es schließlich nicht um das Jetzt, sondern um die ruhmreiche Vergangenheit.
Wie der Orient den Okzident beeinflußt hat, zeigen die Beispiele deutscher Kunst und Literatur aus Realismus, Romantik und Barock in der untersten Etage. Von umgekehrter Wirkung ist hingegen bei den islamischen Kunstwerken im oberen Teil der Ausstellung nichts zu merken. Bis auf wenige figürliche Darstellungen auf Seidenstoffen bestehen die Ornamente der Fliesen, Stuckfragmente, Mosaiken, Keramiken und Schmuckstücke aus floralem und geometrischen Mustern. Technisch waren die muslimischen Einwanderer den christlichen Handwerkern ohnehin überlegen, so daß der „fruchtbare Austausch“ eher einseitig verlief.
Die Faszination der Alhambra als raffiniert komponiertes Gesamtkunstwerk können all die ausgestellten Schätze nur schwer vermitteln. Leider sei es nicht möglich gewesen, das gesamte Bauwerk nach Berlin zu schaffen, sagte der Kulturbeauftragte Andalusiens bei der Vorbesichtigung. Selbstverständlich nicht. Aber angesichts von Kunstwerken, die so stark mit dem Gebäude verbunden sind, aus dem sie stammen, wirft diese Ausstellung die Frage auf, wieviel bei der Präsentation einzelner Kostbarkeiten vom Ausmaß der Kultur noch übrigbleibt. Zwar will die ausgeklügelte Ausstellungsarchitektur den Hintergrund nachempfinden, aus dem die Stücke herausgerissen wurden, erreichen kann sie das jedoch nicht.
Die Struktur der Alhambra, die hier mittels mehrerer Ebenen, Durchblicke, Nischen, Säulen und roten, grünen und gelben Wänden aufgegriffen wurde, läßt sich schlecht in einem Raum zusammenstauchen. Statt großzügiger Weite und Leichtigkeit, einem Zusammenspiel aus Licht und Schatten, entsteht ein Gefühl bedrückender Enge wie in einer Grabkammer. Sicher ist eine solche Architektur weniger langweilig als die nüchterne Darbietung an nackten Wänden und in gläsernen Kästen. Aber die labyrinthische, bunte Kulisse, durch die der Besucher zu eingelassenen Vitrinen und freistehenden Objekten gegängelt wird, lenkt die Aufmerksamkeit teilweise mehr auf das Drumherum als auf das Wesentliche. Die bauklötzchenartige Szene vermag es nicht, die Teile zu einem Ganzen zu verbinden, sie bleiben ohne Zusammenhang.
Einzelne Kapitelle stehen auf Borden, als hätten sie nie zu einer Säule gehört. Fliesenpaneele hängen wie in einer Gemäldegalerie nebeneinander an der Wand. Beim genauen Hinsehen wird der Bezug zur Alhambra jedoch in den einzelnen Stücken selbst erkennbar.
Die Zinnen der roten Burg tauchen in der Intarsienarbeit eines Schreibkastens wieder auf, en miniature. Die Ornamente der filigranen Verzierungen, Ranken und Blattmotive finden sich sowohl in Architekturfragmenten als auch auf Fliesen, einer Lampe und Seidengeweben. Über all die einsamen Schätze wacht ein großer, marmorner Löwe. DIe Skulptur stammt übrigens aus einem psychiatrischen Krankenhaus des 14. Jahrhunderts. Medizinisch waren die Muslime ihren christlichen Mitbürgern nämlich auch um einiges voraus. Ihr kulturelles Vermächtnis vermittelt sich am faszinierendsten dort, wo sie es hinterlassen haben. Weder in einer Ausstellung, noch in einem Museum, sondern in der Alhambra selbst.
Bis 3. 3. 1996, Di.–So. 10–19 Uhr, Sonderausstellungshallen am Kulturforum, Matthäikirchplatz 4, Tiergarten.
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