Wand und Boden
: Die Zukunft liegt bei Machiavelli und in Miederwaren

■ Kunst in Berlin jetzt: Claudia Hart, Nader, Gerda Leopold, Michel François

„Hab keine Angst, Leute zusammenzuschlagen, wenn es sein muß. Zuerst solltest Du versuchen, mit ihnen zu reden, aber wenn das nicht klappt, weißt Du ja, was Du zu tun hast“: ein Ratschlag aus Claudia Harts „A Child's Machiavelli“. In die Rubrik „pädagogisch wertvoll“ scheint die Serie von 32 kleinen Ölgemälden (40 x 30 cm), die die amerikanische Künstlerin mit den Kernthesen aus Machiavellis berühmten Traktat „Der Fürst“ (1532) versah, nicht zu fallen. Aber exakt damit beginnt der böse Spaß; in der Galerie des Antiquariats Wiederhold & Mink im „Künstlerhaus Am Acker“. Für den Manager im Kind mehr als für den kindischen Manager. Aus ist der Traum vom „Kleinen Prinzen“, der das bessere, poetische Kinder/Künstler-Ich im gemeinen Erwachsenen ist. Der Prinz auf dem erloschenen Stern weiß, daß alles zu zerstören ist, bevor eine Gegend in Besitz genommen werden kann. Und auch die vielfach schikanierte „Alice im Wonderland“ macht sich ihren herrschaftstauglichen Reim auf Macht, Politik und Erfolg. Für die Bildmotive griff Claudia Hart auf eine Vielzahl klassischer Kinderbuchfiguren zurück: Appropriation art in satirischer Tradition, die den hermetischen Raum der Kunstwelt sprengt. Aus dem Bodenlosen – nur vage von einem rosaroten Laufstallgitter gesichert – hallt nun Harts „Baby Rap“ (in Zusammenarbeit mit der französischen Band „Assassin“) dazu aus dem Keller. Die Drum-Beats sind ein Sample schreiender Säuglinge. Konzeptuelle selbstreflexive Ironie: Die Künstlerin, die brüllende Monsterkindfrau, die den „Künstler/Galeristen/Kritiker/Sammler-Machiavelli“ tanzt.

Bis 18. 11., Mo.–Fr. 11–18, Sa. 11–14 Uhr, Ackerstraße 18.

Dem Konzept der von Claudia Hart 1994/95 kuratierten Ausstellungsreihe des „Institut of Theore(c)tical Painting“ wäre die figurative Malerei von Nader, dem im Iran geborenen Künstler, wohl entgegengekommen. Nader, der in Berlin erstmals bei Wiensowski & Harbord ausstellt, zielt auf die Inszenierung der Idee und nicht des sinnlichen Scheins. Den Künstler als Könner zitiert der luftige Gestus seiner farbenfreudigen Malerei als fragwürdige Erscheinung. „Es existiert die technische Malerei nicht mehr“ sagt Nader und hebt die theoretische auf die Bühne. Dort steht „Der Abstrakte“, einem Tanzkostüm Oskar Schlemmers entlehnt. Sein Arm ist Glocke und Schwengel zugleich und sein Gesicht bedeckt die Fechtermaske. Das „kalte Duellsubjekt“ (Helmuth Lethen) der Weimarer Zeit läutet die Glocke über dem Adler des Dritten Reiches, der den weißen Schwan (wer dächte nicht an Ludwig II. und an Wagner?) im Würgegriff hält. Sollte es die Totenglocke sein, läutet sie der Abstrakte zu früh, und für sich selbst. Eine Serie von Zeichnungen „Für Adorno“ ist mit dem immer gleichen Liedchen unterschrieben: „I kissed your little hand Madame ... You see I'm so gallant, Madame, on such a night as this“. Was ist frivoler, provokanter? Diese Hommage, oder das Bild eines strengen Backsteinbauwerks für die philosophischen Geistesheroen, der „Brunnen (von links: Kant, Fichte, Hegel, Schelling, Nietzsche)“, aus dem nur noch ein dünnes Rinnsal auf den Erdboben sickert?

Bis 19. 11., Fr.–So. 15–19 Uhr, Goethestraße 69.

Obwohl Gerda Leopold, die Künstlerin als Könnerin, bestimmt nicht abgeschrieben hat, meint auch sie, daß ihr eine Malerei, die allein sich selbst und ihre medienimmanten Fragestellungen reflektiert, nichts bedeute. Daher hat sie die Frauen vor den Schaufenstern, die sie bei August Macke fand, durch Mädchen ersetzt. Die Bild-im-Bild-Situation, die die Auslage hinter zart spiegelnden Glasscheiben evoziert, ist damit auch eine Zeit-in-der-Zeit- Situation. Die Zukunft als Miederware, das ergibt das Bild einer melancholischen Gegenwart. Nicht nur das Edward-Hopper- gelbe Kunstlicht im nächtlichen Schaufenster ist also daran schuld, sondern auch die Frauenfrage. Und die drei Variationen des „Mädchens vor einem Schaufenster“ im unteren, hohen Eingangsraum stehen dazu auf eigentümliche, man möchte sagen auf „zivile“ Weise, quer zur Vergangenheit des Ausstellungsortes, dem „Kutscherhaus“ am Tempelhofer Ufer 11, das einmal Markus Lüpertz' Atelier gewesen ist. In den weiteren zwei Räumen geht die Reflexion auf die Schaufenster-Betrachterinnen zugunsten der Farb-in-Farbfeld-Reflexion verloren. Vorder- und Hintergrund werden dann auf zwei verschiedene Bildtafeln aufgeteilt.

Bis 12. 11., Fr. 15–19 Uhr, Sa., So. 11–17 Uhr.

„Fall nicht hin!“ diese Warnung stammt von Michel François. Eine Videoarbeit des belgischen Bildhauers bei Gebauer u. Günther zeigt denn auch eine Frau mit langem rotem Haar, die auf sattem grünem Gras seltsame Kreise dreht, aufgenommen von einer Kamera, die, hinter ihrem Rücken befestigt und hoch über ihrem Kopf, auf sie herabblickt. Hin und wieder hört man die quietschenden Geräusche von Gummistiefeln im nassen Gras. Bei manchen Leuten soll das eine Gänsehaut hervorrufen. Tatsächlich sieht man auch nach einer Weile, wie kleine Wasserfontänen unter den Füßen der Kreiselnden hervorspritzen. Einen weiteren, gefährlich trudelnden Kreis baut François auf einer Tischplatte auf. Von seinem Zentrum aus umwickeln Papierbahnen flache Tonklopse im Rund, um sich schließlich in 14, der Reihe nach gestellte Kassenbon- Papierrollen zu ordnen. Im mittleren Raum sortierte François seine bekannten braunen Tonquader zum Rechteck. Seine Ränder sind schwer ausgefranst, verzweifelte Finger suchten an ihnen Halt und brachen den Ton heraus. Zu wohlgefälligen Kugeln geformt, ist das Material um das Tonbeet/ bett gelegt. Zerstörung in vollendeter Form.

Bis 2. 12., Mi.–Fr. 14–19, Sa. 12–16 Uhr, Torstraße 220. Brigitte Werneburg